"Nicht Wiederaufbau schlechthin, sondern
sozialistische Großstadt"
 


"Die architektonische Gesaltung der Fassaden ist reicher geworden.'
von Herbert Schneider und Johannes Rascher, Architekten im volkseigenen
Entwurfsbüro für Hochbau Dresden

Aber nicht nur in der städtebaulichen Planung sind unsere Entwürfe gewachsen, auch die architektonische Gestaltung der Bauten am Altmarkt ist ständig reicher und manigfaltiger geworden. Der heute veröffentlichte, zur Ausführung bestimmte Entwurf für den Bautrakt an der Westseite des Altmarktes ist das Ergebnis eines langwierigen Reifeprozesses.

In zahlreichen Diskussionen mit allen Kreisen der Bevölkerung wurden die Mängel und Vorzüge des ersten Projektes einer eingehenden Kritik unterzogen und wir haben uns bemüht, diese Kritik durch unsere Entwicklungsarbeit am Entwurf fruchtbar werden zu lassen. Wenn bei dieser Diskussion die Frage der Architektur einen breiten Raum einnahm, so deshalb, weil mit diesem ersten bedeutungsvollen Bauwerk an hervorragender Stelle, im Herzen der Stadt, eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung getroffen wird. Es kommt vor allem darauf an, eine künstlerische Qualität zu erreichen, die unseren Vorstellungen von Schönheit entspricht, die dabei das Besondere des Dresdner Kolorits wahrt, und die, anknüpfend an die reiche Bautradition unserer Stadt, diese mit den sozialistischen Ideen unserer Zeit zu verschmelzen versteht. Dabei muß die Einzelkomposition stets im Zusammenhang gesehen werden mit der städtebaulichen Gesamtkonzeption, denn die letzte Schönheit einer Stadt wird erst erreicht durch das harmonische Zusammenklingen vieler Einzelschönheiten, wobei jedes Haus, jeder Block unter Einfügung in die Gesetze des Raumes, in der er steht, durchaus seine eigene Note haben soll.
Im Bewußtsein der großen Verantwortung bei der Durchführung unseres Auftrages haben wir alle Hinweise und Kritiken sehr ernst genommen. Wenn man den heute veröffentlichten Entwurf mit den vorhergegangenen Entwicklungsarbeiten vergleicht, wird man feststellen, daß als seine wesentlichen Merkmale eine weitere Differenzierung und eine stärkere Shilouettenwirkung erkennbar sind. Das HO-Warenhaus ist seiner Bedeutung und seinem Charakter entsprechend nunmehr klar vom Wohntrakt getrennt.
Mit der Fassadengestaltung mußten die Forderungen nach Zweckmäßigkeit, Konstruktion und Hygiene in Einklang gebracht werden. Um möglichst geräumige Läden und großzügige, zusammenhängende Ladenfronten zu erhalten, wurden die Zugänge mehrerer Wohnungseinheiten zu zentralen Einheiten zusammengefaßt. Das dabei die Grundrisspositionen der Läden von den darüber gelegenen Wohngeschossen beeinflusst worden, ist verständlich, und hierin lag die besondere Schwierigkeit der Aufgabe.
Es wurde angestrebt, dem Gebäude plastische Körperlichkeit zu geben. Die Betonung der Wohnungseingänge durch Erker, die Durchbrechung der Dachfläche über diesen Erkern, das Höherziehen des HO-Kaufhauses und die Anordnung der Arkaden sollen dazu beitragen, das Platzbild abwechslungsreich zu gestalten. Wir haben dabei nicht übersehen, daß dabei einige Architekturformen zum Teil noch zu historisierend wirken. Wir bemühen uns, bei der Bearbeitung des Details diese Schwäche zu überwinden, denn es kann nicht der Sinn einer neuen Architektur sein, überlieferte Gestaltungselemente kritiklos zu übernehmen, sondern diese eigenwertig umzuformen. Im Rahmen dieser baukünstlerischen Aufgabe ist die Mitwirkung der bildenden Künstler unerläßlich, denen hier Gelegenheit gegeben wird, ihre Fähigkeiten voll zur Entfaltung zu bringen.

Uns Architekten verbindet herzliche Freundschaft mit allen am Bau beteiligten Menschen. Wir zweifeln nicht, daß sie mit uns ihr ganzes Können einsetzen, um allen Werktätigen Dresdens eine neue schöne Heimatstadt zu schenken, die nach dem Willen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu den ersten sozialistischen Großstädten der Deutschen Demokratischen Republik gehören wird."

aus: Sächsische Zeitung vom 30. Mai 1951
Ab September 1951 wurde in der Rubrik "Du und Deine Stadt" das Planungsgeschehen wirkungsvoll inszeniert. Der Wettbewerb zur "Gestaltung der sozialistischen Großstadt" vom November 1953 sah die Kollektive Schneider und Rascher als erste Preisträger. Nach öffentlicher Auseinandersetzung um die Größe des Altmarktes und des Hauses der Partei konstatierte die politische Spitze in der Kontroverse eine "Verschärfung des Klassenkampfes" und eine Verzögerung des Aufbaus am Altmarkt durch den "Klassengegner". Zur Grundsteinlegung durch Walther Ulbricht am 31. Mai 1953 hieß es, das "sozialistische Dresden" soller "schöner denn je" wiedererstehen. Der Artikel von Schneider und Rascher schloß die Diskussion ab. (Text zur Ausstellung: Vorbereitung eines Sanierungsgebietes Neumarkt Dresden im Rathaus - Juli/August 2002)

Zu Aufstieg und Fall des Dresdner Chefarchitekten, einschließlich eines umfassenden Werkverzeichnis von Herbert Schneider (1903 Zwickau- 1970 Dresden) in einer Hausarbeit von Anke Petersilie in der Uni Leipzig vom SS 1999

 

Altmarkt - Westseite 1954
Altmarkt - Westseite 1954

Wohnblock Ostseite 1955
Wohnblock Ostseite 1955
Frauenkirchen Ruine,  letzte Reste einiger Wände der Torhäuschen vom Colselplais und neue Wohngebäude an der Wilsdruffer Str. Im Hntergrund: Kreuzkirche
Frauenkirchen Ruine, letzte Reste einiger Wände der Torhäuschen vom Colselplais und neue Wohngebäude an der Wilsdruffer Str. Im Hntergrund: Kreuzkirche, 1956

Festlich beleuchteter Bogengang der Altmarkt-Westseite
1956
Fotoquellen: Deutsche Fotothek Dresden

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