Sächsische
Zeitung
02.11.2007
Zwei
Bürgerbegehren gegen neues Gewandhaus geplant
Von Bettina Klemm
FDP und Neumarktverein sammeln Stimmen gegen die Neumarkt-Kunsthalle.
Die geplante Attrappe soll deutlich teurer werden.
Weil sich die Dresdner das künftige Gewandhaus schlecht vorstellen
können, soll ein Modell in Originalgröße aufgebaut werden. So hat
es der Stadtrat beschlossen. Eigentlich sollte der Aufbau in Kürze
beginnen. Doch jetzt stellt sich heraus, dass die geplanten 165000
Euro – dafür kann man locker ein Einfamilienhaus bauen – nicht ausreichen.
„Ich bin nicht bereit, mehr Geld dafür auszugeben“, sagt Stadtentwicklungsbürgermeister
Herbert Feßenmayr (CDU). Es müssten eben andere Anbieter gesucht und
vielleicht Abstriche an der Ausführung gemacht werden. Die Einhaltung
der Kosten sei Feßenmayr wichtiger als der Zeitplan. Dann komme das
Modell eben nicht wie angekündigt Anfang Dezember, sondern erst im
neuen Jahr. Die Höhe der Mehrkosten seien beträchtlich, Summen wolle
er nicht nennen.
Das Modell soll, so Architekt Peter Cheret, ein großes Baugerüst aus
Metall sein, an das Planen mit den Fassadenansichten gehängt werden.
Zudem sollen Fenster und Treppen sichtbar werden. „Wir wollen den
gesamten Jüdenhof darstellen“, sagt Cheret. Das bedeutet, dass auch
die Häuser zur Schloßstraße angedeutet werden. Nur so sei es möglich,
ein wirkliches Bild vom künftigen Platz vor dem Johanneum zu gewinnen.
Während in der Stadt noch um die Wirkung des Bauwerkes gestritten
wird, will es die FDP jetzt mit einem Bürgerentscheid verhindern.
Es sei eine Kriegserklärung an den guten Geschmack, sagt FDP-Stadtrat
Jan Mücke. Er wird heute Nachmittag auf dem Neumarkt die ersten Unterschriften
für ein Bürgerbegehren sammeln. Seltsam, als die SPD im September
im Stadtrat einen Bürgerentscheid zu dem Thema gefordert hat, stimmten
Stadträte der FDP dagegen.
Überrascht von dem FDP-Vorstoß ist auch die Gesellschaft Historischer
Neumarkt. „Wir haben seit drei Monaten ein Bürgerbegehren vorbereitet
und dieses vor zwei Wochen abgeschlossen“, sagt Sprecher Torsten Kulke.
Ein Anwalt habe sogar geprüft, ob die Fragestellung „Sind Sie dafür,
dass das Quartier VI am Neumarkt in Dresden oberhalb der Erdoberfläche
auf dem Teil unbebaut bleibt, auf dem sich bis 1791 ein Gewandhaus
befunden hat“ in Ordnung ist.
Schon vor Jahren hatte die Gesellschaft Historischer Neumarkt 63000
Unterschriften für ein Bürgerbegehren zum Thema Gewandhaus gesammelt.
Doch die Stadt hielt das damals für nicht zulässig. So habe sie eine
wirkliche Diskussion verschlafen, findet Alexander Wetzig, Stadtentwicklungsbürgermeister
von Ulm. Auf Einladung der Grünen hat er gestern Abend auf einem Neumarkt-Forum
vor 150 Zuhörern die Erfahrungen seiner Stadt vorgestellt.
Zwei
neue Visualisierungen von archlab
(Marcus kalusche / Dresden):
http://www.sz-online.de/nachrichten/fotos.asp?artikel=1650619
Kommentar
Sächsische Zeitung:
Anspruchsvolle Architektur nötig
Oft wird den Kritikern des Entwurfs des neuen Gewandhauses am Neumarkt
unterstellt, sie würden keine moderne Architektur in Dresden zulassen.
Das ist Unsinn. Dresden braucht moderne Architektur. Zwei Fragen stellen
sich aber in diesem Zusammenhang. Erstens: An welchen Platz in der
Stadt passt zeitgenössische Architektur? Zweitens: Wie qualitativ
hochwertig sind die Entwürfe?
Der Streit um das Gewandhaus am Neumarkt geht vor allem um die Beantwortung
der zweiten Frage. Offensichtlich ist der Entwurf nicht so überzeugend,
dass er dem Anspruch des Platzes genügt. Deshalb der aufgeregte Streit.
Der Neumarkt ist jener Platz, der nur die höchste Qualität verträgt.
Deshalb sollte der Siegerentwurf als Attrappe gezeigt werden und dann
der Dresdner entscheiden, ob der Bau wirklich dort hingehört.
Beispiel
Ulm: erst über Ziele, dann über Architektur reden
Gewandhaus und Bürgerbeteiligung war gestern Abend Thema eines Podiums
im Rathaus. Dazu hatten die Grünen Alexander Wetzig, Bürgermeister
für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt eingeladen. Er sprach über
die Erfahrungen von Ulm.
Eine Riesenglaspyramide steht neben dem historischen Rathaus. Ursprünglich
sollte eine sechsspurige Straße durch das Stadtzentrum zurückgebaut
werden. Doch ein Bürgerentscheid hatte einen Tunnel und damit das
Projekt verhindert.
Neuer Ansatz: „Wir haben auf Innenstadtforen zunächst mit der Stadtgesellschaft
darüber gesprochen, was die Bewohner wollen und nicht über konkrete
Baupläne“, sagt Wetzig. Eine „frühzeitige Bürgerbeteiligung“ sei zu
spät.
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