Sächsische Zeitung
Montag, 4. Juni 2007


„Dresden mit Anstand weiterbauen“
Ex-Landeskonservator Gerhard Glaser zum Streit um Barock und Moderne.


Herr Glaser, ausgerechnet Sie, die Ikone der sächsischen Denkmalpflege, sprechen sich für umstrittene Neubauten wie das moderne Gewandhaus am Neumarkt oder die Waldschlößchenbrücke aus. Warum?

Weil Dresden nicht nur eine barockgeprägte Stadt ist. Dresden hat sich 800 Jahre lang entwickelt und zu jeder Zeit bedeutende Bauzeugnisse hervorgebracht. Heute gilt es, das vorhandene Alte zu bewahren und mit Anstand weiterzubauen.

Ist die Waldschlößchenbrücke denn ein Bau mit Anstand?

Mit Anstand heißt, das schon Gebaute zu respektieren. Entscheidend dabei ist der Maßstab. Eine Brücke ist zunächst etwas ganz Normales in einem Flusstal. Wäre die Waldschlößchenbrücke wie zu DDR-Zeiten beschlossen bis auf die Höhe Bautzner Straße hochgezogen worden, wäre das verheerend für das Elbtal gewesen. Das Landesamt für Denkmalpflege hat erfolgreich darauf hingewirkt, dass die Brücke tief zu liegen kommt und so den Maßstab nicht unangemessen stört. Alles Weitere ist sekundär.

Auch der mögliche Preis, dass wir den Welterbetitel verlieren?

Als Dresden auf die Welterbeliste gesetzt wurde, waren die Brückenpläne dem Welterbekomitee bekannt. Insofern würde ich von dort schon eine Erklärung zum plötzlichen Sinneswandel erwarten.

Warum, fragen Dresdner, bleibt nicht wenigstens der Neumarkt von der Moderne verschont?

Was ist denn überhaupt die Moderne? Ich zitiere den Geschäftsführer der Baywobau, die am Neumarkt das Hotel de Saxe errichtet hat: „Ein Haus mit einer historischen Fassade ist besser verkäuflich.“ Diese neue Investoren-Architektur hat doch nichts mehr mit dem authentischen Wiederaufbau zum Beispiel der Frauenkirche zu tun. Solchen Trivialrekonstruktionen fehlt die innere Wahrheit. Sie werten die wirklich großen Leistungen beim Wiederaufbau Dresdens eher ab.

Die Stadt hat immerhin 60 Leitbauten am Neumarkt festgelegt.

Den Begriff Leitbau hat Hans Nadler Ende der 50er Jahre geprägt, als es darum ging, einige Kriegsruinen noch zu retten. Der Begriff wurde später durch das Landesamt für Denkmalpflege um Bauten erweitert, die besonders wichtig waren und mit ihren originalen Kellern ein authentisches Abbild der Geschichte geben sollten. Das waren weniger als zehn Objekte. Es ist eine Illusion zu glauben, eine Fülle von 60 Bauten in einer Qualität wie Schloss oder Oper zurückgewinnen zu können. Der einzige gelungene Leitbau ist das Haus der Kathedrale, mit Abstrichen auch das Coselpalais. Der Rest sind kommerziell orientierte Neubauten – mit mehr oder weniger gelungenen historischen Fassaden dekoriert. In der Einkaufspassage der V.V.K. herrscht kein anderer Geist als in anderen Einkaufspassagen in Europa. Ich glaube nicht, dass solche Bauten vor der Nachwelt Bestand haben.

Und ein zeitgenössisches Altes Gewandhaus nach dem umstrittenen preisgekrönten Entwurf wird Bestand haben?

Die Gemäldegalerie Sempers war einst auch zeitgenössische Architektur – ein Klotz gegenüber dem zarten Zwinger. Heute nimmt niemand mehr Anstoß daran. Der Entwurf für das Alte Gewandhaus knüpft an die Tradition des Ortes an und nutzt die Architektur unserer Zeit. Die Wiederbebauung der Fläche war immer geplant, aber stets am Geld gescheitert. Das Gewandhaus war auch früher ein Solitär. Der Maßstab stimmt also.

Ihr Wunsch für Dresden 2020?

Die Dresdner sollten denen mehr vertrauen, die Städtebau als Profession betreiben. Ich wünsche mir eine gute Mischung wirklich historischer Bauten aus allen Zeiten mit Neubauten unserer Zeit in angemessenem Maßstab und von hoher Qualität. Dresden ist mehr als nur ein historisch dekorierter Platz.

Gespräch: Katrin Saft

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