Sächsische Zeitung
05. September 2007

Architektur ist kein Kostümfest

Thomas Will, Architekt in Dresden und Mitglied der Jury im Wettbewerb, zur Diskussion um das moderne Gewandhaus.

Das Projekt „Neues Gewandhaus Dresden“ hat die Debatte um den Wiederaufbau am Neumarkt erneut angefacht. In der Öffentlichkeit geht es vor allem um die Frage, ob das Gebäude für diesen besonderen Ort passt, ob es gefällt – oder nicht. Zum Glück kann sich jeder äußern und, wenn er gute Argumente hat, auch Gehör finden.

Gebauter Dialog

Bauen in der Demokratie bedeutet allerdings nicht, dass über jedes Gebäude öffentlich abgestimmt wird, sondern dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppierungen ihre baulichen Vorstellungen realisieren können nach Spielregeln, die auf demokratischem Weg zustande kamen. Das erfordert Toleranz und Vertrauen in die Entscheidungsgremien. Einheitliche und konfliktfrei aussehende Stadtanlagen entstehen eher in absolutistischen Strukturen. Die Anhänger bestimmter Stilformen sollten respektieren, dass es über das, was hier angemessen ist, verschiedene Auffassungen gibt. Der gebaute Dialog, und sei er etwas geräuschvoll, wird der Stadt langfristig besser bekommen als ein Geschmacksdiktat.

Wer entscheidet letztlich, ob ein Bauvorhaben wie das Gewandhaus genehmigt wird? Nach dem Gesetz ist der Rat der Stadt gefragt. Auf welcher Grundlage soll er aber hier beschließen? Nach persönlichem Geschmack? Darüber lässt sich bekanntlich streiten. Üblich ist, insbesondere künstlerische und technische Fragen an Fachleute zu delegieren. Das ist hier geschehen. Neben den eigenen Experten im Stadtplanungsamt haben sich zwei unabhängige Fachgremien – das Preisgericht und der Gestaltungsbeirat – mit großer Mehrheit für die Realisierung des siegreichen Entwurfs ausgesprochen, den ein erfahrenes Architektenteam entworfen hat. Der Bau würde, unabhängig von allen Stilfragen, große stadträumliche Vorteile bringen. Der Rat muss dieser Empfehlung nicht folgen, er sollte aber gewichtige Argumente haben, wenn er sie in den Wind schlägt. Sonst könnte er irgendwann auf guten Rat verzichten müssen. Natürlich wird er auch die Äußerungen aus der Bevölkerung anhören und abwägen. Er weiß aber nur zu gut, dass solche Entscheidungen auf dem Weg der Meinungsumfrage nicht verantwortungsvoll und weitsichtig zu treffen sind. Die großen Dresdner Bauwerke wären nicht entstanden, wenn es dafür eines Mehrheitsentscheids bedurft hätte.

Ausgrenzung der Gegenwart

Wenn in Dresden einige Hüter des guten Geschmacks glauben, das Image damit pflegen zu müssen, dass sie am Neumarkt eine „gute Stube“ einrichten wollen, bei der es für zeitgenössische Architektur, für aufgeschlossene Bauherrn, für die eigenen Fachgremien und für auswärtige Architekten heißt: „Wir müssen draußen bleiben“, dann zeigt das, dass es ihnen nicht um Baukultur geht oder um Ästhetik im Sinne eines Erlebens schöner, interessanter Stadträume. Worum geht es dann? Um Ausgrenzung der Gegenwart unter dem Vorwand einer zurückholbaren Vergangenheit oder um plumpen Touristenfang. Beides hat Dresden nicht nötig. Es kann mit seinem Reichtum wuchern wie einst, wenn es den Neumarkt als Chance begreift – so wie mit dem ursprünglichen Konzept der acht Leitbauten gedacht –, und sich von dem Drang zur Nachahmung historischer Bilder nicht beherrschen lässt.

Der Städtebau der Nachkriegszeit hat in seiner unduldsamen Ablehnung des Alten viel zerstört, das hat eine verbreitete Skepsis hinterlassen. Deshalb sollten wir das, was vom alten Dresden noch da ist, als etwas Besonderes schätzen und schonen. Das geschieht am besten durch die Unterstützung der Arbeit der Denkmalpflege, nicht aber durch die Verachtung unserer eigenen Architektur oder durch den oberflächlichen Nachbau von Fassaden. Solche Imitationen zeigen eher, dass man die Werke der Vergangenheit für bloße Konsumgüter hält, die man nach Belieben herstellen und ersetzen kann.

Respekt vor der Vergangenheit

In Dresden sollten wir gut überlegen, ob wir das Bauen im Herzen der Stadt reduzieren wollen auf gefällige Oberflächen, die nichts mit der Struktur des Typus und seines Gebrauchs zu tun haben. Gute Architektur ist kein Kostümfest. Wenn wir ihren Anspruch, wie er in Dresden noch an vielen alten Bauten nachvollziehbar ist, bei unseren eigenen Schöpfungen ernst nehmen, bezeugen wir auch Respekt vor den architektonischen Leistungen der Vergangenheit.

Nun ist der Rat der Stadt gefragt. Er muss entscheiden, ob er eine Baupolitik des kleinsten gemeinsamen Nenners verfolgen oder die ihm übertragene Verantwortung gestaltend wahrnehmen will. Viel-leicht könnte dann ein „Gewandhaus“ entstehen, dessen Gewand uns nicht täuscht. Es müsste uns beim Betreten auch nicht enttäuschen wie so manche der nun schon aufgestellten Attrappen.

Thomas Will, Architekt, ist Professor für Denkmalpflege an der TU Dresden, Mitglied im Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz und bei Icomos. Er war Fachpreisrichter im Wettbewerb Neues Gewandhaus.

Zwei Fotos (Gewandhausentwurf + Thomas Will)

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