Sächsische Zeitung
7. September 2004


Stein-Geschichte

Im Lapidarium lagern Skulpturen und....
Von Katja Solbrig

Der prominenteste Gast im Lapidarium ist zweifellos der Rathausmann. Abgetrennt vom gekrönten Haupt liegt der nur noch schwach gold schimmernde Riese im Hof der Zionskirchruine auf der Bernhardstraße. Der Blick auf das Stahlskelett, das ihn im Innersten zusammenhält und auf dem Rathausturm hielt, ist frei. Hohl ist der starke Mann. „Und man sieht, dass das Füllhorn der Stadt wirklich leer ist“, sagt Bernd Trommler. Der Leiter des Denkmalschutzamtes der Stadt Dresden erzählt mal mit hintergründigem Humor, mal mit Bedauern in der Stimme die Geschichte und Geschichten des Lapidariums.

Hier hat die Stadt ihre steinernen Schätze aufbewahrt: wegen ihrer künstlerisch-handwerklichen Qualität oder wegen ihrer Bedeutung für die Geschichte und die Identität der Stadt.

Die Trümmer ziehen mehrfach um


Kurz nach der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945, als noch keiner so richtig mit dem Wiederaufbau angefangen hatte, zog Gerhard Ebeling mit einer Gruppe Gleichgesinnter los. Ebeling, Kunsterzieher an der Kreuzschule, wollte die wertvollsten Skulpturen, Reliefs, die steinernen Zierden der Stadt retten. So erzählt es Bernd Trommler, mit Hochachtung in der Stimme. „Man muss sich das vorstellen, die hatten nichts zu essen, ringsum Trümmer, und die Männer sind beseelt von dem Gedanken, Dresden so schön wie möglich wieder aufzubauen.“

Die zertrümmerten Schönheiten werden zunächst in der Ruine der Frauenkirche, im Schloss, im Palais im Großen Garten gelagert. Dann wandern Teile in die Kasematten. Schließlich, 1985 mit dem Wiederaufbau des Schlosses muss ein neuer Platz gefunden werden für das kaputte Erbe. Die Zionskirchruine scheint geeignet, wiederum zehn Jahre später erhält sie sogar ein neues Dach. Durch die vielen Umzüge – an sachgerecht war meist nicht zu denken – ist der Zustand der steinernen Zeugen nicht gerade besser geworden. Zum Beispiel das Denkmal für den Kreuzkantor Julius Otto. Die Bronze-Skulptur wurde, wie viele andere, 1943 eingeschmolzen. „Für den Endsieg“, sagt Trommler. „Man dachte, die könne man ja bald wieder nachformen.“

Die Firma Zehrfeld wurde damals beauftragt, alle einzuschmelzenden Skulpturen vorher in Gips abzuformen. Der Gips litt in den Kasematten so sehr, dass Manfred Zehrfeld Jahre später die Abformung der Abformung herstellte. Zum 750. Jubiläum des Kreuzchores sollte das Denkmal wieder erstehen. „Doch das war zu teuer für die DDR. Wir hoffen auf eine Lösung für die Figurengruppe.“

Bernd Trommler hofft auch für andere halb zerstörte Schätze. „Die Architekten sollten wissen, was wir hier alles haben, damit sie es wieder in den halb öffentlichen oder öffentlichen Raum bringen können.“ Viele Fassadenteile, ganze Konsolen etwa von den Häusern rund um den Neumarkt. Zauntüren von der Höheren Töchterschule auf der Zinzendorfstraße. Teile des berühmten Lauchhammerzaunes von der Orangerie an der Herzogin Garten. Allegorien der Muse vom Alberttheater. „Die würden sich doch gut an einem neuen Operettenstandort machen“, sagt Trommler. Oder die Säulen der alten Eisenbahnbrücken, die dem ICE-Programm der Bahn weichen mussten. „Die schreien geradezu nach einer Wiederaufstellung. Schließlich hat Dresden eine Verpflichtung gegenüber den Leuten, die uns dieses Erbe vor 60 Jahren bewahrt haben.“


DNN vom 18.04.06

1000 Stück Neumarkt - garantiert echt

Zwischen Illusion und Wirklichkeit liegen geschätzte fünf Kilometer Luftlinie. Der Schein, der schön, aber nicht echt ist, beginnt, der Frauenkirche den angemessenen Rahmen zu geben. Eine nachgebaute Wirklichkeit, von der keiner weiß, ob sie wirklich so gewesen ist. Dieser Zweifel verbietet sich vor dem steinernen Faktischen in der Zionskirche. Das Echtheitszertifikat an dem noch im Fragment majestätischen Säulenendstück besteht aus einer kleinen roten Zahl: 82. Die gleiche Nummer findet sich auf einer Zeichnung des "British Hotel", linke Mittelsäule, über dem zweiten Stock. 72 rote Markierungen sind verzeichnet, 72 Reste, ein paar größere, viele sehr kleine. Sie sind wie die letzte Handvoll Teile eines verloren gegangenen Puzzles. Es braucht eine Menge Fantasie, um in ihnen auch nur eine ungefähre Ahnung des vollständigen Bildes zu finden. Und doch, es ist viel mehr als nichts.

Etwa 3000 nach der Zerstörung Dresdens gesicherte Trümmerteile stapeln sich im Lapidarium. Und letztlich ist es hier wie in einem gut sortierten Warenhaus. Die reale und die potenzielle Nachfrage bestimmen das Regalbrett. Die Wachsamkeit ist weit weg, ungefähr sechs Meter weit, eine Inschrift auf einem schwarzen Rathaus-Sockel, der durch eine Kopie ersetzt wurde. Das Stück wird nicht mehr geordert werden, also ab nach ganz oben.

"Der Neumarkt ist von Vornherein unten einsortiert worden", sagt Gerd Pfitzner von Denkmalschutzamt. Das bedeutet: Man rechnet mit Abruf. In der Zionskirche warten darauf mehr als 1000 Stück alter Neumarkt - garantiert echt. Pilasterkapitelle mit und ohne Kopf, fragmentarische Inschriften in Stein, große und kleine Säulen, Steine, von faustgroß bis tonnenschwer, die Einfassung des Lutherdenkmals, auf die verzichtet wurde.

Auf dem steinernen, von Brandspuren gezeichneten Kirchenboden liegt das Stückwerk einer Säule, die einst das Haus Frauenkirche 16 zierte. Zwei beschädigte Schlusssteine, ein kläglicher Rest des Mittelteils, sorgfältig angeordnet, um das Ganze zu simulieren. Die Assoziation von Skelettresten drängt sich auf, Leichenschau. Aber wenn das ein Grab ist, dann eines mit Wiederauferstehungsoption. "Dass die geretteten Teile wieder eingebaut werden am Neumarkt, ist ja die eigentliche Legitimation für den Wiederaufbau", sagt Denkmalamtschef Bernd Trommler. Bisher wurde aber nur ein Stück am neuen Neumarkt wieder verwendet. Es ist die König-Salomon-Figur der Salomonisapotheke. Die steht inzwischen im Freiberger Schankhaus, eine Kopie davon wurde an der Fassade angebracht.

Nicht jedes Stück eigne sich zur baulichen Integration, erklärt Pfitzner. Es kann geschehen, dass es einfach zerbröselt. In anderen Fällen, so Michael Kirsten vom Landesamt für Denkmalpflege, würde durch den Einbau das erhalten gebliebene Original beschädigt, weil es zurecht geschnitten werden müsste, um es einzupassen. Pfitzner erzählt, dass schon mehrere Restauratoren im Auftrag von Neumarkt-Bauherren im Lapidarium waren und sich die ihrem Grundstück zugehörigen Teile angesehen haben. Dass bisher noch nicht mehr geordert wurde, erklärt sich Kirsten damit, dass der Neumarkt-Bau eben erst begonnen hat. Und vom größten, im Entstehen begriffenen Quartier F ist nichts gerettet worden.

Erstaunlich viel gibt es noch vom Heinrich-Schütz-Haus, Neumarkt 12. Auch dort, wo man es nicht vermutet. In den Sechziger Jahren wurde in die Fassade eines Neubaus gegenüber dem Gewandhaus-Hotel der steinerne Fries eingebaut, der einst den Runderker des Schütz-Hauses schmückte. "Für einen Wiederaufbau amNeumarkt kann dieser Fries natürlich dort wieder ausgebaut werden", unterstreicht Michael Kirsten.

"Wir sind die Wiederverwendung auch jenen schuldig, die damals unter großer Mühe die Teile gesichert haben", meint Bernd Trommler. Einer, vielleicht der wichtigste von ihnen, war Gerhard Ebeling. Der gelernte Bauzeichner ist durch Trümmer gekrochen, hat die gefundenen Stücke markiert, die Ruinen gezeichnet, damit die Zuordnung leichter wird. Wie die des sandsteinernen Engelskopfes, der zum Palais Hoym gehörte. Ein Engel, der gefallen ist. Und zwar auf das Gesicht, wie die Blessuren an Nase und Kinn vermuten lassen. Noch wird ein Investor für das Palais gesucht. Und man hofft, es wird einer gefunden, der nicht nur Geld, sondern auch ein Gespür für Symbolik hat. Der verwundete Engel an einer Neumarkt-Fassade. Was muss man man da noch erklären.

Heidrun Hannusch