Dresdner Neueste Nachrichten vom 11.09.2007 Am Dresdner Neumarkt tobt der Kulturkampf. Heiß gerungen wird um zwei Themen: Wie soll das Hotel Stadt Rom wiederauferstehen? Was passiert mit der Fläche des alten Gewandhauses? Ein profunder Kenner Dresdner Befindlichkeiten und Bauten - der frühere Baubürgermeister Gunter Just - schaltet sich vehement in die Debatte ein. Just will das Hotel Stadt Rom zehn Meter verrücken, um Zugänge und Sichten freizulegen. Zudem plädiert der Architekt für den Neubau des Gewandhauses. Am 20. September wird der Stadtrat zunächst über die Errichtung eines begehbaren Raumgerüstes mit den Fassaden des Entwurfes von Cheret & Bozic entscheiden (DNN berichteten). Ralf Redemund Neumarkt-Imperativ:
Maß und Rhythmus von Straße und Platz Wieder einmal streiten die Dresdner ausschließlich über die Fassaden geplanter Gebäude. Die "Progressiven" fabulieren nahezu ausschließlich über gestalterisch-ästhetische Aspekte, im Grunde über Design. Glaubt man ihnen, wird in unserer Stadt jeder Ansatz modernen Bauens vom barockverhafteten Dresdner im Keime erstickt. Diese Plattitüde wird in der kommunalpolitischen Auseinandersetzung benutzt, wenn Investoren-Interessen mit kulturellem Anspruch kollidieren. Abgesehen davon, dass die breite Palette innovativen Bauens der letzten fünfzehn Jahre - von der geistvollen Abstraktion der Neuen Synagoge bis zur Perfektion maßstabbildender Forschungsinstitute und Uni-Bauten - augenscheinlich nicht wahrgenommen wird, spielt Stadtbaukunst keine Rolle. Dabei wäre einzig städtebauliches Verständnis, stadtbaukünstlerische Kompetenz der Schlüssel der Beurteilung eines Bauwerkes und somit dessen Ausformung. Die gegenteilige Position nehmen die Traditionalisten ein. Ihre Sehnsucht, unsere Stadt in ihrer alten historischen Größe wiedererstehen zu sehen, ist wohl auch Ausdruck der Suche nach verlorener Identität, nach den Resten eines einigermaßen verständlichen Welt- und Ortsbildes. Andererseits führt ihre nahezu demagogische Fixierung auf Fassaden, zum Beispiel für den Bereich um die Frauenkirche, zu erheblichem Realitätsverlust. Also auch in den Reihen der "Reproduktiven" keine Befassung mit der städtebaulichen Ausformung des Raumes! Der Zwischenraum hat Vorrang Ganz besonders an diesem Ort muss sich Stadtbaukunst darauf konzentrieren, einen Stadtraum unterschiedlicher Qualität und Nutzungsmöglichkeiten zu schaffen. Wichtiger als die Architektur eines Bauwerkes ist der zwischen den Baukörpern entstehende Raum. Die räumliche Vielfalt sowie der menschliche Maßstab sind Voraussetzung für eine Identifikation der Bürger mit dem Quartier. Schinkel schreibt in seinen "Gedanken zur Baukunst": "Um ein wahrhaft historisches Werk zu vollbringen, ist nicht abgeschlossenes Historisches zu wiederholen, vielmehr muss ein solches Neues geschaffen werden, welches im Stande ist, eine wirkliche Fortsetzung der Geschichte zuzulassen." Danach geht also Erneuerung als gleichwertige Bauaufgabe neben der authentischen Instandsetzung einher. Die Verweigerung der Traditionalisten gegenüber städtebaulichen Erfordernissen darf sicher nicht nur in mangelnder Bereitschaft zum Disput, sondern muss vielmehr in ihrer geringen Beurteilungsfähigkeit städtebaulicher Zusammenhänge vermutet werden. Ich werde dies an Hand dreier Beispiele für den Neumarkt belegen. Die Rückgewinnung städtischer Raumfolgen, nach den Jahren, da sich städtebauliches Vokabular in der soldatischen Aneinanderreihung von Blöcken und Zeilen erschöpfte (und zum Teil noch immer erschöpft), betrachte ich als Sorgfaltspflicht gegenüber den Bürgern, ihnen die misshandelten Stadträume, ja überhaupt das Fehlen städtischer Raumsequenzen ins Bewusstsein zu führen. Wir alle, Bewohner dieser Stadt und Planer, müssen allmählich zurückfinden in Maß und Rhythmus von Straße und Platz. Die Stadt räumlich wahrnehmen Diese stadträumliche Wahrnehmung muss erst wieder erlernt und ausgeprägt werden. Das, was wir unter dem Neumarkt verstehen, eigentlich eine organisch gewachsene Raumfolge, bestehend aus Jüdenhof, Neumarkt und An der Frauenkirche, war vor der Zerstörung ein Stadtraum von großer Weitläufigkeit und ohne Verweilqualität. Abgesehen von vielen noch unbebauten weitläufigen Arealen in der Stadt verfügen wir heute u. a. über drei weitere prominente weitläufige Plätze: Wiener Platz, Altmarkt und Theaterplatz, wobei der letztgenannte - gewiss einer der schönsten Plätze Europas - als unser Salon nur zwei- bis dreimal im Jahre genutzt wird, ansonsten jedoch beim Betrachten dieses exquisiten Ensembles mit unseren Freunden und Gäste unsere Brust schwellen lässt. Anders
meine Erwartungen an den künftig komplett bebauten Neumarkt. Endlich
einen Stadtraum voll quirligen Lebens, endlich ein Ort zum Verweilen,
zum Schlendern und Flanieren, endlich Dresdens Mitte mit menschlichem
Maßstab. Deshalb muss die Vorkriegs-Weitläufigkeit durch eine Bebauung
der Fläche des alten Gewandhauses vermieden werden! Die dabei gewonnene
piazzaartige Gliederung im Bereich Kleine Kirchgasse bzw. Landhausstraße
und die konsequente bauliche Fassung des Jüdenhofes bereichern die
Wirkung des Ensembles außerordentlich. Die Vielfalt des Nutzungsangebotes
im möglicherweise sogar halböffentlichen neuen Alten Gewandhaus machte
den Stadtteil um einige Attraktionen reicher. Die
Leitplanung des Neumarktgebietes aus dem Jahre 1992 offenbart an diesen
Stellen ihre strukturellen Schwächen. Gerechterweise muss ich anmerken,
dass der Leitplan zu einer Zeit entstand, wo wir glaubten, fast alle
Bauten aus DDR-Zeiten stehen zur Disposition. Was droht, sind neuerliche
städtebauliche Ungereimtheiten, die immer dann geschehen, wenn Städtebau
zur Ideologie mutiert. | ||
1. | Der eminent wichtige Zugang zum Neumarkt von der Wilsdruffer Straße bliebe erhalten. | |
2. | Das Hotel Stadt Rom könnte in Gänze, also nicht nur zur reichlichen Hälfte errichtet werden. | |
3. | Die Wiederholung der Hauptfassade oder einer nachempfundenen Fassade oder gar die langlebige Existenz einer Brandwand an der Südseite erübrigt sich. | |
4. | Der störende Einblick in den Hinterhof der Bebauung Wilsdruffer Straße würde deutlich minimiert. | |
5. | Die Errichtung des Gelenkes (im Plan farbig angelegt) durch einen Investor (z. B. Steigenberger) und die Nutzung durch die Woba (man könnte dieses Gelenk sogar ins Eigentum der Woba geben) wäre kostengünstiger als die bereits genannte Südfassade. | |
6. | Die städtebauliche Qualität der Piazza zwischen Hotel de Saxe und dem neuen Alten Gewandhaus gewänne erheblich. | |
Zurück zur Fläche des Alten Gewandhauses. Das Ensemble um die Frauenkirche erführe durch den Bau eines sich nobel zurücknehmenden zeitgenössischen Gebäudes auf der Fläche des Alten Gewandhauses eine spürbare Aufwertung. Für Städtebaukunst gilt vielleicht mehr noch als für andere künstlerische Disziplinen, dass Neues nicht in einem leeren Raum, sondern nur auf gewachsenem Boden entstehen kann, durchaus auch am Gewesenen, messen lässt. Aus eigenen Erfahrungen - ich nahm an einer Vielzahl von Wettbewerben teil und wirkte in mehreren Preisgerichten mit - weiß ich, erste Preise werden selten 1 : 1 bis zur Realisierung geführt. In nahezu allen Fällen bestanden Auslober oder Bauherren auf einer Überarbeitung. Verehrte Entscheidungsträger und liebe Dresdner, lasst uns als reden, miteinander! Gefährlich: Eiferer trifft Politiker Es wäre gefährlich,
sollten Eiferer auf Politiker treffen, die sich selbst noch auf der
Suche nach ihrer eigenen Position befinden. Als geradezu tragisch
empfinde ich es, wenn dabei Gesinnung über Urteilskraft triumphiert.
Unsere Stadt braucht Versöhnung mehr als Konflikte!
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