Sächsische
Zeitung
09. Februar 2008
So könnte
es am Neumarkt weitergehen
Von Bettina Klemm
Der Verein Historischer Neumarkt schlägt vor, auf ein neues Gewandhaus
zu verzichten. Der Bau fünf weiterer Projekte steht fest.
Mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche ist das originalgetreue Nachbauen
salonfähig geworden. Das erläuterte gestern Abend Architekt Andreas
Hummel im Dresdner Rathaus und stellte neue Pläne zu alten Häusern
vor.
Entwürfe am Computer
Der 39-jährige Hummel hat beispielsweise für die Bauherren vom Quartier
Frauenkirche (QF) ebenso wie für die Heinrich-Schütz-Residenz Pläne
zur Fassadengestaltung erarbeitet. Ihm verdankt auch die Gesellschaft
Historischer Neumarkt eine Vielzahl von virtuellen Rekonstruktionen,
mit denen sie sich seit nunmehr zehn Jahren für einen möglichst originalgetreuen
Wiederaufbau des Platzes stark macht.
Hummel begutachtet Fundstücke aus den Ruinen, die im Lapidarium aufbewahrt
werden, sammelt alte Fotos vom Neumarkt und überprüft historische
Pläne. So entstehen in zahlreichen Arbeitsschritten seine dreidimensionalen
Ansichten am Computer. Komplizierte Ornamente malt er freihändig und
überprüft sie immer wieder mit vorhandenen Abbildungen. Ein Teil seiner
Arbeit wird durch den Neumarkt-Verein und durch die „Friends of Dresden“
finanziert, vieles macht er aber ehrenamtlich.
Rekonstruktionen salonfähig
Das Dresdner Beispiel macht bundesweit Schule, schätzt Birgit Lucas,
1. Vorsitzende der Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden. Als
Beispiel nennt sie die Stadt Frankfurt am Main, in deren Innenstadt
jetzt 45 Häuser nach historischem Vorbild errichtet werden sollen.
Sieben davon wolle die Stadt Frankfurt selbst bauen. Bestätigt fühlt
sich der Neumarkt-Verein auch von einer Tagung im Januar in Zürich
mit mehr als 200 Denkmalpflegern und Architekten. Dort sei ein erstaunlicher
Konsens zur Rekonstruktion gefunden worden.
Projekte im Bau
Im Mai soll das Quartier III übergeben werden. Auch die Heinrich-Schütz-Residenz
(Quartier IV) mit altengerechten, noblen Wohnungen ist im Bau. In
diesem Jahr sollen weitere Quartiere begonnen werden.
Stadt Rom
Für das ursprünglich 1740 errichtete Gebäude gibt es sieben Bewerber,
darunter auch Arturo Prisco und sein Sohn Claudio sowie die Baywobau
Dresden. Derzeit verhandle die Stadt mit dem Höchstbieter.
Areal an der Schlossstrasse
Das Quartier VIII an der Schloßstraße hat die Firma Baywobau erworben.
Sie will zwischen 85 und 90 Millionen Euro investieren und an der
Schloßstraße ein Hotel und auf der Fläche neben dem Kanzleihaus und
dem Johanneum Wohnungen errichten. Im August/September sollen die
Bauarbeiten beginnen und im Sommer 2010 abgeschlossen sein.
Das Regimentshaus
Neue Erkenntnisse hat er beispielsweise zur inneren Gestaltung des
Regimentshauses, einem Leitbau im Quartier VI, zusammengetragen. Es
wirke wir ein Bürgerhaus, war aber früher ein Palast von Adligen.
Auch in den Quartieren VI und VII soll der Bau in diesem Jahr beginnen.
Das British Hotel
Das Unternehmen Hapimag will hier Ferienwohnungen errichten. Ursprünglich
wurde das Palais für die Brüder Beichlingen errichtet. Die waren bei
August dem Starken in Ungnade gefallen und sechs Jahre auf die Festung
Königstein verbannt. Später erhielten sie eine hohe Pension und gestalteten
ihr Palais unter dem Motto: „Wir sind wieder da“ sehr auffällig, so
Hummel.
Neues Gewandhaus
Zu ihrer Auffassung vom Wiederaufbau des Neumarktes passe auf keinen
Fall ein modernes Gewandhaus. So zeigte Hummel gestern auch Ansichten,
wie der Platz neben dem Johanneum ohne die moderne Galerie aussehen
könnte.
Der Verein hat eine neue Broschüre mit virtuellen Rekonstruktionen
und Brennpunkten am Neumarkt für 7,50 Euro herausgegeben.
Hotel Stadt Rom. Über 100 Stunden brauchte
Hummel für dieses Modell.
Das Quartier VI soll nach Ansicht vom Neumarkt-Verein mit einer Platzfront
wie vor der Zerstörung 1945, ohne Gewandhaus, entstehen. Die ehemalige
Zwingermauer soll gezeigt werden. Visualisierungen: Arte4D/Andreas
Hummel (4)
Dresdner Neueste
Nachrichten vom 09. Februar 2008
Furcht vor
städtebaulichem Schaden
Neumarktgesellschaft
angesichts Hotelprojekt in Alarmstimmung
Von Genia Bleier
Auf die Frauenkirche
berufen sie sich alle. Alle, die die Rekonstruktion eines historischen
Bauwerkes ins Auge fassen von Berlin, Potsdam bis Frankfurt/M. und
über Deutschlands Grenzen hinaus. „Die Frauenkirche war eine Zeitenwende“,
sagt Birgit Lucas, Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft Historischer
Neumarkt Dresden (GHND). Denkmalpfleger und Architekten sollten sind
endlich zusammenfinden, wenn es darum geht, einer Region ihre Identifikation
wiederzugeben. Was heißen soll: Vorhandene Substanz zu restaurieren
ist das eine, Verlorengegangenes von besonderer Wichtigkeit zu rekonstruieren
ein anderes seit Jahrhunderten praktiziertes Vorgehen, betont Lucas.
Rekonstruktion als bloße Fassadenkosmetik aber lehnt die Neumarktgesellschaft
ab. Das ist nicht neu. Seit zehn Jahren erforscht sie die bauliche
Vergangenheit des Areals. Der Architekt mit denkmalpflegerischer Spezialisierung,
Andreas Hummel, liefert virtuelle Rekonstruktionen ganzer Quartiere.
Das ist ein mühseliges Unterfangen. Aus den Fragmenten im Lapidarium,
historischen Planunterlagen und Fotos entstehen am Computer dreidimensionale
Modelle, die mit vielen Details gute Vorstellungen vermitteln. Allein
in die virtuelle Auferstehung des Hotels „Stadt Rom“ sind nach Angaben
Hummels mehr als 100 Arbeitsstunden geflossen. Auch für weitere Grundstücke,
die schon Käufer gefunden haben, sind Vorlagen vorhanden.
Doch weder Stadt noch Investoren nutzen ausreichend diesen Fundus,
kritisiert die GHND. Zwar informierten sich die Bauherren über die
Gestaltung geplanter Leitfassaden. Künstlerische Details der Innenbereiche
aber fänden kein Interesse. So seien im fertigen Teil des Quartieres
II aus den vorgesehenen drei Leitbauten nur drei Leitfassaden geworden,
bemängelt der 2. Vorsitzende Torsten Kulke. Jetzt fürchten die Neumarkt-Bewahrer
auf dem Rest der Fläche noch weit Schlimmeres – einen irreparablen
städtebaulichen Schaden. Gemeint ist das Hotelprojekt von Jürg Köllmann
an der Rampischen Straße (DNN berichteten), das von der Stadt selbst
auferlegte Normen sprenge. Im vom Stadtrat am 17. Januar 2002 beschlossenen
städtebaulich-gestalterischen Konzept für den Neumarkt wird eine Zusammenlegung
von Grundstücken bis drei Parzellen gebilligt. Das neue Hotel erstreckt
sich nach Auffassung der GHND gleich über 14 Parzellen. Kritik übt
der Verein auch an der Planung für das British Hótel. Ein zusätzlicher
Flügel beschneide den Innenhof und entspreche nicht mehr den Ausschreibungsunterlagen.
Für die Gesellschaft ist es fünf vor zwölf. Ihre Hauptvorwürfe richten
sich an Baubürgermeister Herbert Feßenmayr (CDU), sie bemängeln die
Nichteinhaltung des Neumarkt-Konzeptes. Argumente der Wirtschaftlichkeit
will Kulke angesichts steigender Grundstückspreise nicht gelten lassen.
Bevor aus dem Dresdner Positiv- ein Negativbeispiel wird, stellt die
Gesellschaft vier Forderungen auf:
1) Mehr Transparenz bei allen Planungen am Neumarkt
2) Einhaltung des beschlossenen Konzeptes in allen Details
3) Daraus folgend eine verbindliche Gestaltungssatzung
4) Der Stadtrat soll sich gegen das Gewandhaus aussprechen und
dessen Simulation überflüssig machen
Dresdner Morgenpost
vom 09. Februar 2008
Öffentlichkeit
am Neumarkt gefordert!
Beim Projekt Neumarkt schlagen die Wogen weiterhin hoch. Die Gesellschaft
Historischer Neumarkt Dresden (GHND) fordert von der Stadt „endlich
mehr Öffentlichkeit“! Nahezu besessen widmet sich die GHND dem Brennpunkt
Neumarkt, zieht alle Register, um hier möglichst viele Barockbauten
wiedererstehen zu lassen. Eine ihrer „Waffen“: ein realitätsgetreues
Computermodell der historischen Bebauung, das ständig verfeinert wird.
„Es soll die Sensibilisierung für noch ausstehende Entscheidungen
erhöhen“, sagt Torsten Kulke vom Vorstand.
So hofft die GHND, z. B. beim geplanten British Hotel noch „Unheil
abwenden“ zu können. Kulke: „So soll es das wundervolle Treppenhaus
und den Innenhof in historischer Form nicht mehr geben, obwohl das
Haus doch als Leitbau eingestuft ist. Und die Stadt genehmigt das!“
Auch der künftige Hotelkomplex an der Rampischen Straße, wo einst
ein Ensemble mit hübscher Mittelalter-Parzellierung stand, dürfte
laut Kulke „die Blick-Harmonie zur Frauenkirche stören und zum schweren
städtebaulichen Schaden geraten“.
Ungehalten fordert die GHND darum von der Stadt endlich mehr Transparenz.
Kulke: Die Bürger, die Stadträte werden hintergangen.“ Außerdem solle
die Stadtverwaltung das städtebauliche Konzept einhalten und es müsse
eine verbindliche Gestaltungssatzung her. Kulke: „Es geht ja nicht
um irgendwas, sondern um das Herz unserer Stadt!“
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