Sächsische
Zeitung
28. Dezember 2009
Dresdner Residenzschloss als neues Zentrum der
Stadt
Von
Peter Ufer
Dresden fehlt
sein Zentrum. Diese Feststellung galt fast 60 Jahre. Die Zerstörung
der Stadt im Februar 1945 hatte ihr die Mitte genommen. Danach galt
zunächst der Altmarkt als einziges Zentrum, es kamen die Prager Straße
und die Hauptstraße hinzu. Es fehlte der Halt. Die ursprüngliche Mitte
stand noch bis vor zehn Jahren nur rudimentär, nicht erkennbar zwischen
den Ruinen des Schlosses und der Frauenkirche.
Der Aufbau der Frauenkirche und des Neumarktes, die Rekonstruktion
des Residenzschlosses sind die Anker für das Wiedererstehen des alten
Dresdner Zentrums, das plötzlich das neue ist. Für die Stadt bedeutet
dies einen fundamentalen Umbau der Mitte zwischen Vorkriegstopografie
und Nachkriegsmoderne. Für die Dresdner bedeutet es Neuorientierung.
Sie müssen ihre Stadt neu begreifen. Deshalb führte und führt der
Widerspruch zwischen der Erinnerung an das Alte Dresden und dem erlebten
Umbau der Stadt immer wieder zu heftigen Diskussionen.
Doch es gibt einen Ort, der harmonisch seinen Ursprung modernisiert
und ohne Zweifel in Verbindung mit dem Neumarkt, dem Schloss- und
Theaterplatz das alte, neue Zentrum der Stadt markiert: Das Dresdner
Residenzschloss.
Renitente Schlossbewahrer
Es ist der oft gescholtenen renitenten Eigenwilligkeit der Dresdner
und vieler, die es nach 1989 wurden, zu danken, dass die einstige
Residenz der Wettiner jetzt als Museumsschloss zu besichtigen ist.
Konflikte um den Bau gab es immer. Die ersten Debatten nach 1945 gab
es bereits ein halbes Jahr nach Ende des Krieges. Während die neu
entstehende politische Macht das Schloss am liebsten abgerissen hätte,
um Baufreiheit für eine sozialistische Stadt zu schaffen, übten Bürger
stillen Widerstand. Sie wollten das Schloss bewahren.
Ohne Persönlichkeiten wie beispielsweise den 1988 verstorbenen Kunsthistoriker
Fritz Löffler, den 2005 gestorbenen Landesdenkmalpfleger Hans Nadler
oder seinem Nachfolger Gerhard Glaser würde das Schloss vermutlich
nicht mehr existieren. Die drei Denkmalschützer stehen, neben vielen
anderen, für drei Generationen von Dresdnern, die mit ihrem Erinnern
an das Alte Dresden, ihren Ideen zum Wiederaufbau Gegenkonzepte lieferten
zum offiziellen Partei- und Staatsprogramm. Sie haben gesichert, überredet,
verschwiegen, sich arrangiert, riskante Allianzen geschlossen. Die
Ulbricht-Ideologen projizierten in die Ruinenretter einen ideologischen
Konflikt. Mit bilderstürmerischem Hass verfolgten extreme SED-Funktionäre
die Reste feudaler und christlicher Baukultur als Relikte einer überwundenen
Gesellschaftsordnung nicht nur in Dresden.
Während in Berlin ein völlig neues Schloss gebaut werden müsste, hat
Dresden seine neue Mitte aus den bewahrten Ruinen, aus Leidenschaft
und mit großem Wissen wieder errichtet. 2002 zog als erste museale
Institution der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden das Münzkabinett
ein, im Februar 2004 die Kunstbibliothek, im April desselben Jahres
öffneten das Kupferstich-Kabinett, danach der erste Teil des Grünen
Gewölbes und im September 2006 das Historische Grüne Gewölbe. Im kommenden
Jahr wird die Türkische Kammer zu sehen sein. Die Eröffnungen sind
stets ein festlicher Akt. Sächsische und bundesdeutsche Politprominenz
fährt vor, um sich im Glanz des sächsischen Schatzes zu sonnen. 2006
ist die Ruine äußerlich wieder erstanden.
Was heute zu sehen ist, gab es jedoch so nie. Die Rekonstruktion reflektiert
verschiedene Zeiten, Epochen und Stile von der Romantik bis zur Gegenwart.
Die Erbauer nahmen und nehmen sich das Recht zu entscheiden, was künstlerisch
wertvoll war und was nicht. Der Chef der Staatlichen Kunstsammlungen,
Martin Roth, nennt es das „Modell einer Schlossimagination, um zu
demonstrieren, wie sich die Residenz im Lauf der Zeit entwickelt hat“.
Während beispielsweise im Großen Schlosshof die vollständig verloren
gegangene Sgraffito-Fassade zum großen Teil rekonstruiert wurde, blieb
in den wesentlichen Teilen der Außenfassade der Neorenaissance-Umbau
des neunzehnten Jahrhunderts Maßstab des Wiederaufbaus.
Beton und Stahl im Ostflügel, wo der fast sechzig Meter lange Riesensaal,
der 1701 dem großen Schlossbrand zum Opfer fiel, wieder entsteht.
Jetzt als Ausstellungsraum für die Rüstkammer. Ein moderner Saal für
alte Kunst.
Pulsierendes Zentrum
Der Wiederaufbau konnte indes, nüchtern betrachtet, nie konsequente
Rekonstruktion sein. Auf welche Schlossvariante aus welchem Jahrhundert
hätte man sich mehrheitlich einigen sollen? Auf welche neuen, funktional
und technisch notwendigen Räume hätte man zugunsten geschichtlicher
Korrektheit verzichten sollen? Der Wiederaufbau ist zuvörderst Rekonstruktion
von Substanz, aber zugleich ausgewählt detailtreues historisches Nachempfinden,
schöpferische Weitergestaltung und Neubau. Inszenierung des Erinnerns,
neu komponiertes Gesamtbild, konstruierte Wirklichkeit. Es entsteht
ein Museumsschloss, das nichts mehr gemein hat mit der Residenz der
Wettiner, nichts mehr gemein hat mit den einstigen Räumen politischer
Machtdemonstration, königlicher Festkultur und prächtiger Schatzpräsentation.
Aus dem „verschlossenen“ Renaissancebau wächst ein pulsierendes Zentrum.
Doch es zeigt Historie in Teilen sehr genau und erinnert andernorts
jederzeit daran. Und es erinnert unmissverständlich an den traumatischen
Untergang der Stadt.
Mit dem Münzkabinett und dem Kupferstich-Kabinett, dem Neuen und dem
barocken Grünen Gewölbe sind heute fast ein Drittel der für die museale
Präsentation vorgesehenen 10000 Quadratmeter des Schlosses zugänglich.
Die noch ausstehenden zwei Drittel werden in den nächsten Jahren vor
allem von der Rüstkammer genutzt werden. Die Rekonstruktion der Englischen
Treppe und die Bauarbeiten am Renaissance-Altan im Hof sowie in der
„Türckischen Cammer“ sind in vollem Gang. Von Anfang März 2010 an
wird dort die osmanische Sammlung sächsischer Kurfürsten und Könige
zu sehen sein. Auf 750Quadratmetern sollen dann 600 exotische Waffen,
Zelte, Reitzeuge, Fahnen und Gewänder sowie acht nach einst lebenden
Vorbildern aus Holz geschnitzte Pferde inszeniert werden. Im Hauptraum
wird ein 160 Quadratmeter messendes osmanisches Staatszelt aus der
Zeit der Türkenkriege im 17. Jahrhundert aufgebaut.
Seit fast zwei Jahrzehnten wird der Große Schlosshof wieder aufgebaut.
Wenn er als eine der letzten Baumaßnahmen des Schlosses fertig gestellt
sein wird, hat er nicht nur sein bis 1945 bestehendes Erscheinungsbild,
sondern auch seine Funktion völlig verändert. Denn rekonstruiert wird
nicht der Vorkriegzustand, sondern der zentrale Hof des kurfürstlichen
Residenzschlosses des 16. und 17. Jahrhunderts. Nach mehr als 70 Jahren
im Rohbau bereits zurückgekehrt ist der Altan im Großen Schlosshof.
Der Vorbau an der Hauptfassade zählt zu den bedeutendsten Renaissanceplastiken
nördlich der Alpen. Zu zwei Dritteln vollendet ist die Ausgestaltung
der Fassaden mit Sgrafitto, einer speziellen Putztechnik aus dem 16.
Jahrhundert.
Die größte Wunde ist verheilt Die Stadt erhält mit dem Großen Schlosshof
zudem einen öffentlichen Raum zurück, der sich in die bestehende Folge
aus Stallhof, Zwingerhof und Theaterplatz einfügt. Ebenso wie diese
Festplätze soll der Hof den Bewohnern und Touristen Dresdens bis spät
abends zugänglich sein. Er kann zugleich in seinem ursprünglichen
Sinne als Aufführungsort benutzt werden. Als attraktive Bühne für
Konzerte ist der Große Schlosshof ebenso denkbar wie als Raum für
einen romantischen Weihnachtsmarkt.
Dresden bekommt mit dem Schloss einen Schatz zurück, eines der bedeutendsten
Museen Europas und ein offenes Haus. Es entsteht ein Museumsgefüge,
das neben dem Louvre und der Eremitage seinen Platz finden wird. Zum
anderen findet die Stadt ihre Mitte wieder. Schloss und Neumarkt bilden
das Zentrum. Die größte Wunde der Stadt ist verheilt.
Literaturtipp: Dirk Syndram und Peter Ufer. Die Rückkehr des Dresdner
Schlosses. editionSZ.
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