Feitag, 22. Juli 2011
(Sächsische Zeitung)

Umkämpfter Lückenschluss

Der Plan ist seit längerem bekannt: Die Nürnberger Firma KIB Projekt will ein Büro- und Geschäftshaus am Neumarkt errichten. Es soll auf der Fläche neben der Heinrich-Schütz-Residenz und dem Kulturpalast entstehen. Doch wie es aussehen soll, ist seit einigen Wochen erneut heftig umstritten.

Derzeit sucht KIB noch Nutzer. Geplant sind 750Quadratmeter Ladenfläche im Erdgeschoss, 3000Quadratmeter sind für Büros vorgesehen. Im Dachgeschoss sind Wohnungen vorgesehen. Weil es Probleme mit den Grundstücksnachbarn gibt, konnte die Stadtverwaltung bisher noch keine Baugenehmigung erteilen

Ursprünglich standen auf der Fläche vier Gebäude. Sie waren aber nicht so historisch wertvoll, um wieder originalgetreu aufgebaut zu werden. Deshalb haben sich Stadt und Bauherren für einen modernen Entwurf entschieden. Er soll, so Stadtentwicklungsbürgermeister Jörn Marx, eine "Klammer" zwischen der historischen Neumarkt-Bebauung und dem Kulturpalast beziehungsweise den Wohnbauten aus den 60er-Jahren bilden.

Die Bauherren haben sich für die Pläne des Münchener Architekturbüros Kupferschmidt entschieden. Bevor die KIB die Visualisierungen am Bauzaun veröffentlichte, hat sie ihre Vorstellungen ausführlich mit den Stadtplanern und den Mitgliedern der Gestaltungskommission besprochen. Dieses Beratungsgremium war 1998 gebildet worden, um eine hohe Bauqualität im kulturhistorischen Zentrum der Stadt zu sichern. Die Stadtplaner begrüßen die Entwürfe, doch bei den Dresdnern regt sich Protest. Wie weiter nun? Bauen – sagt Stadtentwicklungsbürgermeister Jörn Marx. So bitte nicht, hält Torsten Kulke von der Gesellschaft historischer Neumarkt dagegen. (SZ/kle)


Zwei Visualisierungen

 

Pro: "Ein überzeugender Entwurf"


Auch wenn das Thema im Moment besonders in den SZ-Leserbriefen die Wogen hochschlagen lässt, hat es eine lange Vorgeschichte. Bereits 1981, also noch zu DDR-Zeiten, wurde im Ergebnis eines internationalen Entwurfsseminars herausgearbeitet, dass das Neumarktareal nur entlang der historischen Grundstückslinien wiederaufgebaut werden kann.

Ein freier Blick durch die Galeriestraße auf die Frauenkirche war zu keinem Zeitpunkt Ziel des Wiederaufbaus des Neumarktes. Vielmehr wird bei vertiefter Auseinandersetzung mit der Baugeschichte deutlich, dass die gesteigerte Wirkung der Kirche einzig erlangt werden kann, wenn ihr der städtebauliche Rahmen zurückgegeben wird. Wesentlicher Bestandteil der Bebauungskonzeption ist die Errichtung der Quartiere I bis VIII gemäß ihres historischen Umrisses. Da dabei der Kulturpalast und die Wohnbebauung der Wilsdruffer Straße zu berücksichtigen sind, gibt es entlang der Südseite der angrenzenden Quartiere eine Bruchlinie.

Was sind die Kriterien für gute Architektur am Neumarkt? Eine gelungene Einbettung in die vorhandenen Strukturen, harmonische Proportionen, nachhaltige Lösungen, intelligente Nutzungskonzepte und durchdachte Grundrisse? Alt oder neu? Historische Fassaden oder zeitgemäße Interpretationen? Beides ist möglich! Wir haben uns in der Gestaltungskommission kulturhistorisches Stadtzentrum intensiv mit dem Entwurf von Kupferschmidt Architekten auseinandergesetzt.

Im Erdgeschoss ist eine Natursteinverkleidung und ab dem 1. OG durchgefärbter Edelputz vorgesehen. Ein hochwertiges Gebäude, das auch in der Gestaltung der Fassaden und Fensterelemente sowie der Dachgestaltung dem Neumarkt gerecht wird und zudem ein intelligentes Nutzungskonzept mit entsprechenden Grundrissen aufweist.

Nach meiner Ansicht ein überzeugender städtebaulicher Beitrag zum zeitgemäßen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen unter Berücksichtigung der alten Maßstäblichkeit und Materialität der Architektur am Neumarkt. Mithin ein zeitgenössischer Entwurf, der die maßstabsbildenden Leitbauten unterstützt. Diese Kombination kann dem Neumarkt, nach jahrelangen Bemühungen um seine bauliche Rückgewinnung, das von der Stadt gewünschte Gesicht geben; ein Stadtplatz mit wegweisendem Umgang mit der Architektur.

Der Autor ist Bürgermeister für Stadtentwicklung der Stadt Dresden.

Foto von Jörn Marx (CDU)


Contra: "Entscheidung gegen die Dresdner"


Dass die Parzellen wieder bebaut werden sollen, ist im städtebaulich-gestalterischen Konzept festgehalten und unbestritten. Mit der Blickachse soll ein städtebaulicher Dialog vom Altmarkt zur Kuppel der Frauenkirche entstehen. Der Fehler liegt deshalb im Ausschreibungstext für den Architekturwettbewerb 2008/09. Dort heißt es: "Die Neubebauung soll einen wesentlichen Beitrag zur Verknüpfung der neu entstehenden "Altstadt" und der existierenden "neuen Stadt" des Wiederaufbaus der 1950–70er-Jahre leisten." Dies widerspricht dem städtebaulich-gestalterischen Konzept. Das fordert eine Unterordnung sämtlicher Bauten zu den Neumarkt-Bauten und zur Frauenkirche. Der vorliegende Entwurf von Kupferschmidt Architekten ist daher nicht genehmigungsfähig.

Der Bau wirkt durch seine Gesamtmasse vom Altmarkt und der Frauenstraße unproportioniert. Das Stufendach (Sattel- oder Mansarddach ist vorgeschrieben) zerstört die empfindliche Sichtachse nachhaltig. Die notwendige Kleinteiligkeit, es waren immerhin vier Parzellen, ist zu wenig herausgearbeitet. Der Innenhof ist fast komplett zweistöckig überbaut.

Prof. Johanne Nalbach, Mitglied der Gestaltungskommission, sagte in einem SZ-Interview im März 2009: "Die Dresdner sollten den Fachleuten vertrauen, die Jahrzehnte ihre Augen geschult haben." Dies war unmittelbar nach der Prämierung der Entwürfe und als sich entschiedener Widerspruch unter den Dresdnern artikuliert hatte. Umfragen und Leserbriefe gaben dem Ausdruck.

Es muss nun die Frage von der Politik beantwortet werden: Wenn die überwiegende Mehrheit der Dresdner, die den historischen Wiederaufbau des Dresdner Neumarktes wollen, mit ihren Steuermitteln die Kommission und die hochbezahlten Mitarbeiter im Stadtplanungsamt finanzieren, warum entscheiden diese immer wieder wissentlich und willentlich gegen diese Mehrheit? Warum werden immer wieder fragwürdige Wettbewerbe mit Steuergeldern ausgerichtet, deren Vorgaben sich nicht an das vom Stadtrat 2002 in fraktionsübergreifender Mehrheit beschlossene Konzept halten? Die Gesellschaft fordert mit Nachdruck eine Neubesetzung der verantwortlichen Stellen und die Aufhebung des Wettbewerbsergebnisses.

Der Autor ist Vorstand der Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden.

Foto von Torsten Kulke

 

 

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