Sächsische Zeitung, 28.01.2016 Für Stuckateurmeister Thomas Schubert beginnt jeder Auftrag mit Detektivarbeit. Um seine Stuckarbeiten möglichst originalgetreu hinzubekommen, gleicht er historische Fotos und alte Funde ab, bespricht sich mit Kunsthistorikern und Architekten. Seine Mission: Hausfassaden wieder so zum Leuchten zu bringen, wie sie früher einmal ausgesehen haben. Früher heißt: vor dem Inferno in Dresden am 13. Februar 1945. „Bei den Rekonstruktionen kommt uns zugute, dass manchmal der alte Stuck erhalten geblieben ist. Denn Stuck brennt nicht“, sagt Schubert. Im Bannewitzer Ortsteil Wilmsdorf hat sich der 51-Jährige mit seiner Frau Iris Scheiblich eine Werkstatt eingerichtet. Der gebürtige Schweriner verbrachte seine Kindheit und Jugend in Berlin. Sein Vater, Regisseur beim DDR-Fernsehen, brachte ihn auf die Idee, mit Stuck zu arbeiten. Nach der Oberschule ließ Thomas Schubert sich beim VEB Denkmalpflege in Dresden zum Restaurator ausbilden. „Ich wollte schon immer etwas mit meinen Händen machen“, sagt er. Nach einem zweijährigen Ausflug in die Schauspielerei an der Hochschule für Filmkunst in Babelsberg verfeinerte er seine Handwerkskunst in den 1990er-Jahren am Europäischen Denkmalpflegezentrum in Venedig. „Diese Zeit hat mich sehr bereichert. Dort konnte ich mein Blickfeld auf die europäische Restauratorenzunft ausweiten.“ Das Wissen kommt ihm heute zugute. Seit Jahren sind Thomas Schubert und Iris Scheiblich gefragt, wenn es um die komplizierte Wiederherstellung verschollener Stuckarbeiten geht. Ihre Nähe zur Landeshauptstadt hat sich ausgezahlt – die meisten Aufträge bekommen sie von Investoren, die die Stadt sanieren wollen. Weil seine Aufgabe so anspruchsvoll ist, ärgert ihn auch, wenn Kritiker der Stadt vorwerfen, dass gerade die Altstadt sich zu einem Disneyland entwickle. „Wer das behauptet, hat schlicht keine Ahnung, wie viel Arbeit hinter jedem einzelnen Projekt steckt“, sagt Schubert. Er hat aber Ahnung. Er weiß, wie mühevoll seine Frau, eine gelernte Physiotherapeutin, historische Aufnahmen vom Dresdner Neumarkt in den Archiven sucht. Wie sie ihre Entwürfe mit Kunsthistorikern besprechen. Und wie sehr sie um das Ergebnis kämpfen. „Erst neulich stand ich mit Iris bis zwei Uhr nachts in der Werkstatt und habe an einer neuen Figur für das Dinglingerhaus gearbeitet.“ Seine Frau musste stundenlang den Scheinwerfer halten, damit er an der Figur die Schatten aus allen Perspektiven überprüfen konnte. Gegen drei Uhr haben sie den Stuck verhängt und sind schlafen gegangen. „Am nächsten Morgen bin ich runter in die Werkstatt und habe nachgeschaut. Zuerst wollte ich die Figur zerstören.“ Davon konnte ihn Iris abhalten. Sie ist ihm Muse und Kritikerin zugleich. Zum Beweis zeigt er zwei Schwarz-Weiß-Fotografien des früheren Dinglingerhauses am Jüdenhof. Je nach Perspektive schaut die Stuckfigur mal grimmig, mal freundlich. Der Unterschied ist frappierend. „So, und das müssen Sie dann frei Hand umsetzen“, sagt Thomas Schubert. Beginnt er ein neues Projekt, fertigt er zuerst ein Tonmodell. Damit er das gut anpassen kann, zimmert er sich eigens einen Giebel aus Holz, der den Originalmaßen vor Ort entspricht. Ist das Tonmodell fertig, wird flüssige Kautschukmasse aufgetragen, die dann an der Luft abhärtet. Aus diesem Kautschuk-Negativ gießt der Stuckmeister schließlich mit Kalkmörtel die eigentliche Gipsfigur. Für diesen Prozess benötigt er etwa eine Woche. Anschließend liefert er die Figur an den Auftraggeber aus. Eine halbe Woche braucht er dann noch, um den Stuck vor Ort eigenhändig an der Fassade anzubringen. „Manchmal zittern wir noch, wenn der Maler kommt und die Figur weißt“, sagt Iris Scheiblich. „Der könnte manchmal zarter sein.“ Bisher ist aber immer noch alles gut gegangen. Foto 1, Foto 2, Foto 3, Foto 4 |
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