Sächsische Zeitung
Mittwoch, 23. Oktober 2006

Der Neumarkt braucht mehr Qualitätsbauten
Von Petra-Alexandra Buhl

Diskussion. Architektur und Städtebau stehen in Dresden am Scheideweg: Wie entwickelt sich die Stadt jetzt weiter?

Mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche hat Dresden ein architektonisches Juwel mit internationaler Ausstrahlung. Beim Kolloquium „Stadt Raum Fluß“ der Sächsischen Akademie der Künste ging es unter dem Kunsthistoriker Jürgen Paul am Sonnabend darum, wie ihr Niveau künftig auf andere Stadtbauten übertragen werden kann.

Die Entwicklung von Städtebau und Architektur seit 1990 wurde sehr differenziert beurteilt: Neben wenigen herausragenden Solitären entstanden in der Stadt viele Investorenbauten, die eine künstlerische Gestaltung vermissen lassen. Am umstrittensten war die Bebauung des Neumarktes nach historisierendem Vorbild. Die etwa 100 Teilnehmer des Kolloquiums waren mehrheitlich der Ansicht, dass diese Bauten nicht als Leitbild für die Innenstadt gelten dürfen.

Das Bau-Interesse wird größer

Es fehle vor allem an der handwerklich meisterlichen Leistung dort, kritisierte Annette Friedrich, ehemals Stadtplanerin in Dresden, nun in Heidelberg tätig. „Der Anspruch hätte viel höher sein müssen, das darf man nicht einfach in drittklassige Hände geben.“ Der geplante Ansatz der Leitbauten sei gar nicht ernsthaft betrieben worden.

Baubürgermeister Herbert Feßenmayer (CDU) verteidigte den Neumarkt: „Man kann einen Investor niemals mit vielen Überredungen zu Spitzenqualität anreizen.“ 2001 hätten alle Banken abgelehnt, am Neumarkt zu investieren. Die Öffentlichkeit aber habe einen raschen Fortschritt in diesem Gebiet verlangt. Weil die Investoren derzeit nicht Schlange stehen, könne sich die Stadt nicht leisten, potenzielle Bauherren durch hohe Qualitätsanforderungen zu vergraulen.

„Die Marktlage wird am Neumarkt besser werden, deshalb kann und muss man die Qualitätsansprüche an die Bauten dort auch höher schrauben“, so Jörn Walter, jetzt Oberbaudirektor in Hamburg, früher in Dresden tätig. Problematisch ist für ihn auch die Bautätigkeit am Wiener Platz, am Altmarkt sowie am Postplatz. „Es ist die Achillesferse der Konzepte, dass sie auf Gründerzeit-Grundrissen entstehen. Dresdens Innenstadt war immer eine Stadt des Mittelalters.“ Dresden habe seit der Wende zu wenig in die Innenstadt investiert aufgrund der hohen städtischen Schulden. Nun müsse dort dringend etwas geschehen – mit neuen Konzepten. Problematisch ist für den Berliner Architekturkritiker Wolfgang Kil, dass Dresden abseits des alten Zentrums abrupt abbricht und verödet. „Zwischen Postplatz und World Trade Center ist nichts als Steppe. Deshalb funktioniert auch der Postplatz nicht.“ Der Architekt Peter Kulka kritisierte, „der Postplatz ist ungenießbar, dabei ist der Zwinger mindestens genauso bedeutend wie die Frauenkirche. Jetzt liegt er hilflos da vor lauter Licht und Lampendesign.“

Familien für die Innenstadt

Für die künftige Entwicklung der Stadt hat Engelbert Lütke-Daldrup, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung den Wunsch, dass Dresden weniger Investorenprojekte und Hotels genehmigt. Wichtiger sei, Bauherren für die Innenstadt zu finden, die Urbanität schaffen, indem sie bezahlbaren Wohnraum für junge Familien anbieten. Dresden sei bereits jetzt eine moderne Stadt, sagte Jürgen Paul. Sie werde also solche von den Dresdnern aber kulturell nicht akzeptiert. Vielleicht ändert sich das ja bald.


Die historisierende Bebauung des Neumarktes ist unter Architekten nach wie vor heftig umstritten. Sie vermissen echte Leitbauten. Foto: Jan Fritzsche

 

Neumarkt zeigt den Wertewandel

Für den Kultursoziologen Karl-Siegbert Rehberg ist die Rekonstruktion des Neumarktes in dieser Form Ausdruck eines gravierenden Wertewandels, „Zeichen einer geschichtstrunkenen Nostalgie“. Noch nie sei eine Epoche so vergangenheitsbezogen gewesen wie die gegenwärtige. Der rasche Wandel der Moden in einer globalisierten Welt und Kultur fördere dies und die Rückbesinnung auf Vergangenes zur Identitätsstiftung. In Dresden drückten sich darin auch die Folgen der „Enteignung der eigenen Geschichte durch die SED-Diktatur“ aus. Den Neumarkt so zu bebauen, dürfe als Anknüpfung an die Traditionen des „Refugiumsbürgertums“ gelten, das Hans Nadler beschworen habe. (SZ/pab)

 

Dresden hat sein Disneyland

Der Architekt Peter Kulka hält den historisierenden Neumarkt für misslungen. Die Stadt könne nicht durch Heile-Heile-Segen wieder aufgebaut werden.

Neumarkt, Schloss, Frauenkirche – Dresden gilt vielen inzwischen als Stadt der Denkmalkopien. Was halten Sie davon?

Was ist in Dresden Kopie, was ist echt? Das ist an vielen Stellen gar nicht mehr zu differenzieren. Das sind Träume von einer Sache, die die meisten nicht kannten. Für mich stehen diese Bauten dafür, dass Dresden in allem Unglück auch immer Glück hatte. Es war ein Glück, dass Dresden nach dem Krieg nicht unter den damaligen Bedingungen sofort wiederhergestellt wurde. Es war ein Glück, dass es Leute gab, die versuchten, die Reste von Semperoper, Frauenkirche und Schloss zu bewahren. Die Dresdner selbst haben große Anstrengungen beim Wiederaufbau gemacht und dann war es ein großes Glück, dass der reiche Bruder aus dem Westen solidarisch war. Es ist eine enorme Summe in die Stadt geflossen. Es wurde zum Teil gut genutzt. Es wurde Altes bewahrt, und Neues hinzugefügt. Beispielhaft ist für mich das Altstädter Elbufer, die Synagoge und der Abschnitt vom Landtag bis zum Kongresszentrum. Als Stadterweiterung ist das angemessen und maßstäblich – ohne den Preziosen der Altstadt den Rang abzulaufen.

Welche städtische Struktur hat Dresden für Sie?

Dresden ist leider längst nicht mehr dieses über Jahrhunderte gewachsene Stadtensemble, in dem verschiedene Zeitschichten und Stadtviertel harmonisch nebeneinander existieren. Heute ist Dresden sehr viel offener und fragmentarischer.

Alt und Neu fügt sich aber nicht zusammen. Es gibt keine städtebauliche Verbindung, oder?

Dresden besteht wegen des Verlustes eines urbanen Stadtzentrums aus Vierteln von unterschiedlicher Architektur und Funktion. Die einzelnen Bevölkerungsgruppen haben sich außerhalb des Zentrums ihre Viertel gesucht, so zum Beispiel die Jugend die Neustadt. Wieder entstanden auf ganz neue Weise ist das Einkaufsviertel auf der Prager Straße. Dieses in der DDR entstandene Neubaugebiet ist ein wichtiger Beitrag der DDR-Architektur der 60er/70er Jahre. In jüngster Zeit wächst das Bewusstsein der Dresdner für die Qualität dieser Straße. Sie wurde nach 1990 verdichtet und angepasst an die neuen marktwirtschaftlichen Bedingungen. Das größte Problem Dresdens ist, diese unterschiedlichen Teile zu vernetzen. Die Frage ist, ob das Sinn hat oder ob man sich andere Strategien ausdenken muss, um zwischen diesen ungleichen Teilen erlebnisreiche Stadträume zu schaffen. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob man in diesen Zwischenräumen nicht auch wohnen kann. Dresden wird nie mehr die Stadt werden, die es vor der Zerstörung war. Will man das? Highlights hat Dresden genug. Was die Stadt im Zentrum braucht, ist ein Stück Normalität. Die Weiterentwicklung Dresdens in die Zukunft wird kaum nach dem Heile-Heile-Segen-Prinzip funktionieren.

Dieses Heile-Segen-Prinzip ist für Sie der historisierende Wiederaufbau des Neumarkts und am liebsten der ganzen Stadt?

Ich war acht Jahre alt, als Dresden zerstört wurde. Vieles wurde im Nachhinein idealisiert. Niemand möchte heute mehr in Häusern leben, in denen kein Sonnenstrahl in die Wohnung fällt. Nach dem Aufbau der Frauenkirche stand sie einsam wie eine Kaffeekanne auf dem Präsentierteller. Jetzt hat die Umbauung den Maßstab wieder hergestellt. Allerdings bezweifle ich, dass der Neumarkt als Vorbild für die übrige Stadt gelten kann.

Haben Sie Bedenken gegen den Wiederaufbau der Kirche?

Nein. Dieses einmalige Bauwerk hat große identitätsstiftende Wirkung. Bei der Ausmalung des grandiosen Innenraums habe ich allerdings so meine Zweifel. Es verniedlicht diese Kirche und hat mit unserem modernen Lebensgefühl so sehr nicht zu tun.

Das Coselpalais ist für Sie ein „Puderdöschen“. Welche Zukunft geben Sie dem Neumarkt?

Den Leuten wird suggeriert, die Bauten seien Originale. Dem ist nicht so. Oft sind die historischen Fassaden nur auf Beton appliziert, und dahinter befinden sich ganz andere Strukturen und Funktionseinheiten. Für mich wirken all diese Bauten sehr kraftlos und ich fürchte, sie werden es bleiben. Die momentane Seligkeit der Menschen beim Anblick des Neumarkts erschreckt mich ein wenig, andererseits mache ich mir Gedanken, was die Ursachen dafür sind. Ich stelle mir die Frage, an wen wendet sich dieses Disneyland? Man glaubt, es handle sich um die eigene Identität, aber es ist nicht einmal die Identität der Vorfahren. Von Leitbauten war die Rede, aber außer der Frauenkirche selbst finde ich eigentlich bisher keinen wirklichen Leitbau im Neumarkt-Viertel.

Im Gegensatz dazu kommt moderne Architektur in den Herzen vieler Dresdner kaum an. Wieso?

Es ist eine unbestimmte Angst vor dem Neuen. Moderne Architektur vermittelt kaum wie die traditionelle durch Masse und Ornament Geborgenheit. Sie wird industriell gefertigt, und viele Gremien reden mit. August der Starke konnte machen, was er wollte. Wenn Sie heute bauen, müssen Sie zahllose Leute beteiligen und die Entwürfe zigmal ändern. Gute Architektur zu machen ist unter diesen Bedingungen sehr schwer. Alle glauben, sie könnten da mitreden. Eine Stadt ist kein Wohnzimmer, das sich jeder nach eigenem Geschmack einrichtet, sondern ein öffentlicher Raum. Solche Debatten über moderne Architektur gibt es überall. Aber es wird nirgends mit einer solchen Selbstgefälligkeit diskutiert wie in Dresden. Das finde ich erschreckend. Diese Diskussionen haben oft provinzielle Züge. Ich frage mich, ist es schon wieder die Stadt hinter den sieben Bergen?

Welche Zukunft hat Dresden?

Dresden muss auch Ort für eine progressive Jugend und deren Vorstellungen werden. Im Moment scheint es mir zu viele Liebhaber der älteren Generation zu geben.

Gespräch: Petra-Alexandra Buhl

Mehr Statements zum Kolloquium „Stadt Raum Fluß“ der Sächsischen Akademie der Künste findet man unter www.sz-online.de

(Professor Peter Kulka und sein Architekturbüro Kulka & Partner in Dresden und Köln gewann das Auswahlverfahren "Ostflügel" Dresdner Schloss, an dem sich 78 Büros beteiligt hatten. Vom Kleinen Schlosshof über die Englische Treppe bis zum Hausmannsturm erstreckt sich horizontal das Areal, für das Peter Kulka, den Wiederaufbau plant. Vertikal reicht es von den archäologischen Resten der so genannten "Kemenate" unterm Großen Schlosshof bis zum Riesensaal im zweiten Obergeschoss. Es ist der älteste und zugleich sensibelste Schlossteil - genau hier wird sich das Bauensemble mehr als 60 Jahre nach seiner Zerstörung wieder komplettieren.) - siehe Beitrag Denkmal: Dresden und sein Schloss von Deutschlandradio Kultur 25.07.06




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