SZ vom 26.01.06

Hat Canaletto getrickst?
Von Bettina Klemm

Neumarkt. Es gibt neuen Streit über die Frage: Soll an der Stelle des seit 200 Jahren verschwundenen Gewandhauses wieder ein Gebäude entstehen?

Die Bilder von Bernardo Bellotto, auch als Canaletto bekannt, gelten als wichtige Quelle beim Wiederaufbau des Dresdner Neumarktes. Stadtplaner und Denkmalschützer haben schon so manche Gestaltung und Farbgebung anhand der Canaletto-Veduten entschieden. Der Künstler arbeitete mit einer „Camera obscura“. Mit diesem, einem Fotoapparat ähnlichem Instrument, erzeugte er wirklichkeitstreue Bilder. Allerdings erlaubte die „Camera“ nur relativ kleine Ausschnitte, die der Maler dann zusammenfügte. Dabei bildete er die Wirklichkeit jedoch nicht sklavisch genau ab, sondern nutzte die künstlerische Freiheit.

Bei der Analyse des Neumarktbildes kommt der Dresdner Kunsthistoriker Thomas Liebsch zu einer verblüffenden Entdeckung: „Schon Canaletto muss das Gewandhaus gestört haben.“ Wahrscheinlich hat der Maler den Neumarkt aus einem Fenster im erste Obergeschoss vom Dinglingerhaus (Neumarkt 18) betrachtet. Während auf der linken Bildhälfte die räumlichen Beziehungen zwischen der Gemäldegalerie (Johanneum), Bürgerhäuser und Frauenkirche realistisch dargestellt wurden, kommt es in der rechten Bildhälfte zu einer starken Abweichung. Um den Neumarkt optisch größer zu gestalten, rückte Canaletto das Gewandhaus weiter nach Süden, so Liebsch. Andere Kritiker gehen davon aus, dass Canaletto nur für den Einzug des Königs – schließlich sein Auftraggeber – mehr Raum benötigte.

Konträre Bewertung

Wie dem auch sei, der Trick von Canaletto gibt nun einem alten Streit neue Nahrung: Soll das Gewandhaus wieder errichtet – oder besser die Fläche dieses Gebäudes bebaut werden oder nicht?

Die Gesellschaft historischer Neumarkt ist dagegen. „Mit dem Wiederaufbau des Gewandhauses würde nicht nur städtebaulich, sondern auch funktionell eine bereits seit dem Jahre 1770 abgerissene Linie wieder aufgegriffen“, schreibt Stefan Hertzig in seiner Arbeit. Es habe gute Gründe, dass der Platz nach fast 250 Jahre nicht wieder bebaut worden sei. In Computersimulationen zeigt er, wie stark ein Gewandhaus – erst recht der moderne Entwurf von Stefan Braunfels aus dem Wettbewerb „Atelier Neumarkt 2000“ – den Platz dominiert.

Die Stadt Dresden geht davon aus, dass damals nach dem Siebenjährigen Krieg und später den Napoleonischen Kriegen das Geld fehlte, um das Gewandhaus wieder aufzubauen. So hat der Stadtrat bereits vor Jahren mit einem Investitionsvorrangbeschluss entschieden, die Fläche wieder zu bebauen.

Unter Verwendung der Arbeit „Hauptwache und altes Gewandhaus am Dresdner Neumarkt“ von Stefan Hertzig.

 

Die Montage: Stefan Hertzig nahm das Originalbild als Grundlage und ordnete aber das Gewandhaus nach den wirklichen Raumbeziehungen, wie sie Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem Neumarkt herrschte, ein. Montage: Stefan Hertzig

 

Das Original: „Der Neumarkt zu Dresden vom Jüdenhof aus“ (1749/51) von Bernardo Bellotto. Der Maler rückte das Gewandhaus (rechts im Bild) deutlich nach Süden und ließ so den Platz größer wirken. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek

 




SZ vom 26.01.06

Pro & Kontra

Soll das Alte Gewandhaus wieder aufgebaut werden oder die Fläche frei bleiben? Fördert oder beeinträchtigt der Wiederaufbau die Wirkung der Frauenkirche und wird damit der Neumarkt in mehrere Einzelplätze gegliedert?

Gut gefasst
Von Herbert Feßenmayr, Baubürgermeister

Eine Wiederbebauung der Fläche des Alten Gewandhauses am Neumarkt wird den historisch-räumlichen Zusammenhang des Verlaufes der mittelalterlichen Stadtbefestigung und der hier zusammenlaufenden Fernstraßen erneut anschaulich machen. Damit wird auch erreicht, dass der Jüdenhof in seinen schönen Proportionen wieder klar erkennbar wird. Der Blick auf die Frauenkirche aus der Sporergasse kommend wird wieder ganz im barocken Sinne räumlich symmetrisch klar gefasst.

Die barocke Treppe des Johanneums bekommt die notwendige, etwa gleich breite Platzfront im Gegenüber. Erst eine größere Länge der Frauenstraße bewirkt zudem eine angemessene Distanz zwischen dem Kulturpalast an der aufgeweiteten Galeriestraße und dem Platzbereich des Neumarktes.

Diese heute bereits im neu gebauten Straßen- und Platzverlauf wieder aufzufindende Form des Neumarktes ist das Ergebnis eines sehr langen Planungs- und Abwägungsprozesses. Dabei konnte glücklicherweise auch einmal die offensichtlich vorhandene Angst vor zeitgemäßer Architektur überwunden werden.

Nach vielen Diskussionen hat der Stadtrat dieses Ergebnis am 17. Januar 2002 als städtebaulich-gestalterisches Konzept für den Neumarkt sehr bewusst beschlossen.

Erschlagen
Von Birgit Lucas, Kulturhistorikerin,
1. Vorsitzende GHND


Die Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden hat sich seit jeher vehement sowohl gegen einen „Wiederaufbau“ als auch gegen einen Neubau am Platz des alten Gewandhauses ausgesprochen. Hinter dieser Meinung stehen die mehr als 63 000 Unterzeichner des Bürgerbegehrens zum historischen Neumarkt. Wie Computersimulationen zeigen, wird das zukünftig vier Geschosse hohe neue „Gewandhaus“ den Platz nicht bereichern, sondern erschlagen: Neben ihm werden die kleinteiligen Barockhäuser wie Mäuse neben einem Elefanten wirken, und der Frauenkirche wird schwerwiegende Konkurrenz erwachsen! Die Gemälde Bellottos täuschen, da der Maler den Platz durch Verschieben der Gebäude viel weiträumiger erscheinen ließ, als er in Wahrheit war.

Es macht keinen Sinn, ein Gebäude „wiederzuerrichten“, das schon seit mehr als 200 Jahren nicht mehr existiert: Entweder baut man den Neumarkt mit Gewandhaus, Hauptwache und Renaissancehäusern oder – wie wir dafürhalten – in der vielen noch bekannten Form bis 1945 wieder auf. Der Wunsch, durch Grundstücksverkäufe benötigtes Geld einzuspielen, ist verständlich – aber bitte nicht an dieser sensiblen Stelle. Man kann schon jetzt erahnen, dass nur ein Neumarkt mit seinen rekonstruierten barocken Platzfassaden den erwünschten Gewinn bringen wird.






Zeitgenössische Postkarte (Quelle: Fotosammlung Dr. Holger Rohland). Blick auf die Ecke Neumarkt/ Jüdenhof mit dem ehemaligen Hotel Hauboldt. Genau jener Platz im Vordergrund links bis zu der kleinen Verkehrsinsel würde nach den aktuellen Plänen der Dresdner Stadtverwaltung mit einem Neubau verstellt.





zurück zu News