Dresdner Neueste Nachrichten 24.10.2006

„Diese Einkaufspassage ist ein Skandal"

Heidrun Hannusch

„Wie könnt' ihr bloß so was machen?", fragte ein auswärtiger Freund und schob mit einer Spur Süffisanz in der Stimme noch das Wort „Schildbürger" nach. Wir saßen des nachts vor dem Steigenberger Hotel, eigentlich der ideale Platz, um den Neumarkt so als großes Ganzes zu genießen. Wäre da nicht ein hellst erleuchtetes Detail, das sich vor Frauenkirche, vor den Rest des Areals schiebt und den Blick-Genuss zu einem heftig gestörten macht - es sei denn, man liebt Tiefgaragen-Aus- und -Einstiegshäuschen.

Dass auf dem Neumarkt nicht nur etwas falsch steht, sondern manches schief läuft, das resümierte nun die Akademie der Künste. Und jetzt geht es nicht nur um falsch platzierte Details, sondern um mehr. Es geht um Qualität, die fehlt, um Mogelpackungen, um das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit und um Bauherren.

„Diese Passage im Quartier F ist ein Skandal", sagt Ex-Baubürgermeister Gunter Just. „Da hat man uns italienisches Flair versprochen und jetzt fehlt da jegliche Noblesse", wird er direkt. „Das ist die schlechteste Einkaufspassage, die in Dresden gebaut wurde", meint der Architekt. Nichts von der Qualität, die man hätte erwarten dürfen neben der Frauenkirche, dafür miserable Materialien, ein grob verarbeitetes Glasdach ohne eine Spur von Eleganz, das außerdem den Ausblick biete auf zum großen Teil triste Rückfassaden. Vorne Neumarkt, hinten Beliebigkeit - auch mancher Tourist, von der Fassade verführt, ist desillusioniert, sobald er eintritt.

Das „Hotel de Saxe" bekam in der Akademiesitzung ebenso seinen Teil Kritik ab. Als eine Art Mogelpackung, drinnen Hotelnutzung über den ganzen Block, draußen auf die Fassade kaschierte Kleinteiligkeit. Und ähnlich wie in der Quartier-F-Passage, im Innenraum ein Glasdach, das eine wenig überzeugende Hinterfront offenbart. „Eigentlich sollten die Höfe offen gehalten werden", formulierte Architekt Dieter Schölzel den bisher nicht eingehaltenen Anspruch.

Tatsächlich ist das Neumarkt-Problem eines des Anspruchs. War man doch angetreten, der Frauenkirche den rechten Rahmen zu geben. Jetzt sprach die Akademie von zweit- und drittklassiger Architektur, von Handwerk beim Historie-Nachbau, dem die Meisterlichkeit fehle, von Leitbauten, die es bisher nicht wirklich gibt. Jahrelang ist erbittert gestritten worden zwischen Verfechtern der Moderne und der Historie. Jetzt ist keiner von beiden glücklich. „Die bisher fertiggestellten Quartiere bleiben zum Teil weit hinter diesen Forderungen zurück", äußerte sich gestern die Gesellschaft Historischer Neumarkt. Die andere Seite hatte schon während des Kolloquiums eine Moderne beklagt, die am Neumarkt keine Kraft zeige.

Wenn man bedenkt, dass es der Neumarkt war, wo nach mehreren städtebaulichen Fehlschlägen an anderen Stellen der Innenstadt endlich alles richtig laufen sollte, beschreibt das Urteil der Akademie ein zumindest teilweises Scheitern. Aber vielleicht eines, das noch in einen Erfolg umzumünzen ist. „Wo müsste man nachsteuern?" fragte beim Kolloquium Jörn Walter, Stadtbaudirektor in Hamburg. Und sagte einen Kernsatz: die Ansprüche nach oben schrauben. Wie man das tun kann, dafür lieferte der Architekturhistoriker Falk Jaeger ein Beispiel aus Berlin. Da nehme die Bauverwaltung Einfluss auf die Architektenwahl der Investoren, und zwar, ohne großen Widerspruch zu dulden. Nicht ganze Blöcke für eine Nutzung freigeben, forderte Walter. Und Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär im Bundesbauministerium, meinte, dass man, um Kleinteiligkeit zu erreichen, andere Bauherren suchen sollte, solche, die eben nur ein kleineres Haus bauen. Dafür müsste allerdings die Stadt ihre Vermarktungsstrategien ändern. Wie Kunsthistoriker Jürgen Paul erzählte, habe es einen Investor gegeben, der vorhatte, nur das Dinglinger-Haus - aber das originalgetreu - wieder aufzubauen. Keine Chance, die Stadt wollte nur das gesamte Quartier VI im Paket an den Mann bringen.

Eine andere Möglichkeit wäre, sich Zeit zu lassen, nicht an den erstbesten Investor zu verkaufen, sondern auf den besten zu warten. Und zwischendurch auf ein paar Millionen verzichten. Ansonsten könnte man an besonders misslungene Bauten ein Schild anbringen mit den Spruch: „Sorry, wir brauchten das Geld. Ihre Stadtverwaltung Dresden".



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