Architektur
Zentrum Wien - 02.bis 05.11.1995 3. Wiener Architektur Kongress: zum Thema Chaos und Städtebau Zusammenfassung
der Referate: Quelle: http://www.azw.at/kongress/de/10005/10005_zusatz2.htm Einer der bedeutendsten
Vertreter dieser "Architektur an sich", eine Architektur, die keine
Parallel-Szenarien braucht, ist der New Yorker Architekt Peter Eisenman.
Seine Architektur stellt den Versuch einer "nachmetaphysischen Architektur"
dar, einer Architektur, die sich auf nichts stützen kann, weder
auf die Natur noch auf die Geschichte. Das Paradigma der
Harmonie, insbesondere der Harmonie mit der Umwelt, dem Umfeld war lange
Zeit bestimmender Bestandteil der Architektur. Der "Eintritt in die
Wildnis" sollte als "Symbiose" verstanden sein, die Morphologie des
Gebauten der Geologie der natürlichen Ordnung entsprechen. Was
aber geschieht, wenn die Umgebung keinen positiven Kontext aufweist. Dem Chaos der Stadt
stellt der amerikanische Mathematiker und Chaosforscher Ralph Abraham
das mathematische Chaos gegenüber. Der Paradigmenwechsel in der
Wissenschaftsgeschichte war geprägt vom Abschied der linearen,
starren Systeme. Die mathematischen Modelle reichten nicht mehr aus,
die Komplexität der Natur zu erklären. Chaos ist für Otto E. Rössler, Professor für theoretische Biochemie, ein selbstreferentieller Begriff. Spricht man den Begriff aus, so hat man ihn bereits gebannt. Als Naturwissenschaftler fragt er nach den Möglichkeiten einer Rückführbarkeit des Chaos. Wir haben die Ordnung gesucht und das Chaos gefunden, so die Erkenntnis des italienischen Architekten Stefano Boeri. Satelliten haben eine globale Sicht gebracht, aber gleichzeitig nahm auch die Unschärfe zu, wir sehen nichts mehr. Die Entzifferung des urbanen Chaos wurde zur Aufgabe der Architekten. Boeri fordert die Einführung von eklektischen Atlanten, die die diversen Schichtungen wiedergeben. Das Chaos und das Drama der Stadt ist für den Autor und Kritiker Dzevad Karahasan der dramatische Marktplatz. Die Geburt des Dramas und somit die Ablösung des epischen Liedes sieht er in der Geburt der Städte. Der Marktplatz ist für ihn durch das Aufeinandertreffen verschiedener Identitäten dramatisch. Diese dramatische kulturelle Vielfältigkeit der Stadt wird durch die Vermittlung des Marktplatzes zur Ganzheit, was er eindrucksvoll am Beispiel Sarajevos demonstriert. Doch können die europäischen Städte diesen Anspruch noch gerecht werden? Verkommen sie nicht zu leere Hüllen für den Massentourismus? Einen Vergleich zwischen Disneyland und der Stadt Luzern stellt der Schweizer Kunsthistoriker Stanislaus von Moos an. Der Rückbau der Stadt zur touristischen Attraktion, zum Freizeitpark, mit internationalen Shoppingmalls und einigen historischen Appliqués, die der Attraktion dienen, ist für ihn typische Botschaft des "Disney-Syndroms" in Städten wie Luzern und Venedig. Der Tourismus hat die Städte neugemacht: Jeder der sich mit den Problemen der Stadt beschäftigt, muss sich auch mit Tourismus beschäftigen, wie der amerikanische Kulturwissenschaftler Richard Ingersoll. Die modernen Städtezentren sind nur symbolisch, denn ihre Bewohner werden zu Touristen. Vor allem in einigen Grossstädten Amerikas wie Houston lässt sich eines feststellen: die Strassen sind leer. Wo spielt sich das Leben also ab, wenn nicht in der Stadt? Ein neues Lebensprogramm für die Stadt fordert Richard Ingersoll. Das Drama der modernen
europäischen Städte erkennt der deutsche Kritiker und Journalist
Michael Mönninger vor allem in der räumlichen Zerstreuung.
An Stelle einer Urbanisierung wurde eine Verländlichung betrieben,
so sein Resumee. Am Punkt der Berührung
und Begegnung setzt auch der bekannte amerikanische Soziologe Richard
Sennett an. Ist der Mangel an physischer Verknüpfung Grund für
das Chaos der Städte? Die Angst vor körperlichen Kontakten,
der Verlust des Verständnisses für den Körper ist das
Charakteristikum unserer Gesellschaft seit der Aufklärung. Die
Architektur muss als Beitrag zu diesem körperlichen (Un-) Verständnis
verstanden werden. Mehr und mehr Zäune schaffen Trennungen. Die
Angst vor körperlicher Berührung lässt sich auch in der
Städteplanung ablesen. Ein wichtiger Faktor spielt dabei die Geschwindigkeit.
Das "Am Ort sein" wurde abgelöst durch die "Bewegung im Raum" als
Flucht. Wie können
wir ein Umfeld schaffen, das die Menschen mehr anregt, wie können
wir urbane Welten schaffen? Nach dem Chaos Stadt das Chaos Europa: Pessimistisch die Erkenntnis des französischen Denkers Michel Korinman nach seiner geopolitischen Analyse Europas. Aus geopolitischer Sicht ist - so seine These - eine Integration Osteuropas in das westeuropäische Staatengefüge auszuschliessen. Zu viel trennt Osteuropa von Westeuropa, und dabei steht nicht nur der ökonomische Markt im Vordergrund. Eine Sonderstellung auf der geopolitischen Landkarte Europas nimmt für den Politikwissenschaftler Angelo Bolaffi Italien ein. In Italien fand die Aufhebung des Gegensatzpaares Ordnung und Unordnung Einzug in das Alltagsleben. Das katholische Italien braucht, so Bolaffi, eine ethische Revolution, ein Stück Protestantismus zur politischen Reformation. In einer Reise durch die spanische Architektur der letzten 20 Jahre demonstrierte Luis Fernández-Galiano wie Spanien zur "Normalität" gefunden hat, eine Normalität die auch das Triviale und das Simulacrum miteinschloss. Vielleicht besteht die Paradoxie darin, dass Spanien mit dem Schub der Moderne auch die Zukunft aus den Augen verlor. Auch im architektonisch boomenden Spanien - so Luis Fernández-Galiano - ist gute Architektur in der Minderzahl. Für was ist also Chaos der Schlüssel? Ist die Architektur des Chaos, der Unvorhersehbarkeit, so wie sie von Peter Eisenman gefordert wird, der Schlüssel zu den Problemen, denen sich die Architekten heute stellen müssen, fragte Richard Ingersoll in der abschliessenenden Diskussion. Widersprüchlich ist für ihn auch Richard Sennetts Sorge über die Unfähigkeit der Architektur Erregung zu schaffen, ist doch die Architektur ständig mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht bequem genug zu sein. Was der Architektur
vielmehr fehlt, so Ingersoll, sind Lebensprogramme, die Verknüpfungen
schaffen. Verknüpfungen zwischen den Funktionen, zwischen dem Leben.
Die Architektur der Peripherie ist eine leere Hülle, weil sie keine
Verknüpfung schafft. Im Zentrum hingegen sind die Stadtbewohner
zu Touristen geworden.
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