Adolf Loos
aus: Ornament und Verbrechen*
(1908)
Auszüge:
[...] Das kind ist amoralisch. Der papua
ist es für uns auch. Der papua schlachtet seine feinde ab
und verzehrt sie. Er ist kein verbrecher. Wenn aber der moderne
mensch jemanden abschlachtet und verzehrt, so ist er ein verbrecher
oder ein degenerierter. Der papua tätowiert seine haut, sein
boot, seine ruder, kurz alles, was ihm erreichbar ist. Er ist
kein verbrecher. Der moderne mensch, der sich tätowiert,
ist ein verbrecher oder ein degenerierter. Es gibt gefängnisse,
in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen
aufweisen. Die tätowierten, die nicht in haft sind, sind
latente verbrecher oder degenerierte aristokraten. Wenn ein tätowierter
in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen
mord verübt hat, gestorben.
[...] Was aber beim papua und beim kinde natürlich ist, ist
beim modernen menschen eine degenerationserscheinung. Ich habe
folgende erkenntnis gefunden und der welt geschenkt: Evolution
der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes
aus dem gebrauchsgegenstande. Ich glaubte damit neue freude
in die welt zu bringen, sie hat es mir nicht gedankt. Man war
traurig und ließ die köpfe hängen. Was einen drückte,
war die erkenntnis, daß man kein neues ornament hervorbringen
könne. [...]
Traurig gingen die menschen dann zwischen den vitrinen umher und
schämten sich ihrer impotenz. Jede zeit hatte ihren stil,
und nur unserer zeit soll ein stil versagt bleiben? Mit stil meinte
man das ornament. Da sagte ich: Weinet nicht! Seht, das macht
ja die größe unserer zeit aus, daß sie nicht
imstande ist, ein neues ornament hervorzubringen. Wir haben das
ornament überwunden, wir haben uns zur ornamentslosigkeit
durchgerungen. Seht, die zeit ist nahe, die erfüllung erwartet
unser. Bald werden die straßen der städte wie weiße
mauern glänzen. Wie Zion, die heilige stadt, die hauptstadt
des himmels. Dann ist die erfüllung da.[...]
Das hörten die schwarzalben mit mißvergnügen,
und der staat, dessen aufgabe es ist, die völker in ihrer
kulturellen entwicklung aufzuhalten, machte die frage nach der
entwicklung und wiederaufnahme des ornamentes zu der seinen. Wehe
dem staate, dessen revolutionen die hofräte besorgen! [...]
Nun gut, die ornament-seuche ist staatlich anerkannt und wird
mit staatsgeldern subventioniert. Ich aber erblicke darin einen
rückschritt. Ich lasse den einwand nicht gelten, der sich
in die worte kleidet: "wenn aber das ornament schön ist...!"
Mir, und mit mir allen kultivierten menschen, erhöht das
ornament die lebensfreude nicht. [...] Der vertreter des ornamentes
glaubt, daß mein drang nach einfachheit einer kasteiung
gleichkommt. Nein, verehrter herr professor aus der kunstgewerbeschule,
ich kasteie mich nicht! Mir schmeckt es so besser. [...]
Der ungeheure schaden und die verwüstungen, die die neuerweckung
des ornamentes in der ästhetischen entwicklung anrichtet,
könnten leicht verschmerzt werden, denn niemand, auch keine
staatsgewalt, kann die evolution der menschheit aufhalten. Man
kann sie nur verzögern. Wir können warten. Aber es ist
ein verbrechen an der volkswirtschaft, daß dadurch menschliche
arbeit, geld und material zugrunde gerichtet werden. Diesen schaden
kann die zeit nicht ausgleichen. [...]
Die nachzügler verlangsamen die kulturelle entwicklung der
völker und der menschheit, denn das ornament wird nicht nur
von verbrechern erzeugt, es begeht ein verbrechen dadurch, daß
es den menschen schwer an der gesundheit, am nationalvermögen
und also in seiner kulturellen entwicklung schädigt. [...]
Noch viel größer ist der schaden, den das produzierende
volk durch das ornament erleidet. Da das ornament nicht mehr ein
natürliches produkt unserer kultur ist, also entweder eine
rückständigkeit oder eine degenerationserscheinung darstellt,
wird die arbeit des ornamentikers nicht mehr nach gebühr
bezahlt. [...]
Das fehlen des ornamentes hat eine verkürzung der arbeitszeit
und eine erhöhung des lohnes zur folge. Der chinesische schnitzer
arbeitet sechzehn stunden, der amerikanische arbeiter acht. Wenn
ich für eine glatte dose so viel zahle wie für eine
ornamentierte, gehört die differenz an arbeitszeit dem arbeiter.
Und gäbe es überhaupt kein ornament -- ein zustand,
der vielleicht in jahrtausenden eintreten wird, -- brauchte der
mensch statt acht stunden nur vier zu arbeiten, denn die hälfte
der arbeit entfällt heute noch auf ornamente. Ornament ist
vergeudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit. So
war es immer. Heute bedeutet es aber auch vergeudetes material,
und beides bedeutet vergeudetes kapital.
Da das ornament nicht mehr organisch mit unserer kultur zusammenhängt,
ist es auch nicht mehr der ausdruck unserer kultur. Das ornament,
das heute geschaffen wird, hat keinen zusammenhang mit uns, hat
überhaupt keine menschlichen zusammenhänge, keinen zusammenhang
mit der weltordnung. Es ist nicht entwicklungsfähig. [...]
Das moderne ornament hat keine eltern und keine nachkommen, hat
keine vergangenheit und keine zukunft. Es wird von unkultivierten
menschen, denen die größe unserer zeit ein buch mit
sieben siegeln ist, mit freuden begrüßt und nach kurzer
zeit verleugnet. [...]
Der moderne mensch, der das ornament als zeichen der künstlerischen
überschüssigkeit vergangener epochen heilig hält,
wird das gequälte, mühselig abgerungene und krankhafte
der modernen ornamente sofort erkennen. Kein ornament kann heute
mehr geschaffen werden von einem, der auf unserer kulturstufe
lebt. [...]
Ornamentlosigkeit ist ein zeichen geistiger kraft. Der moderne
mensch verwendet die ornamente früherer und fremder kulturen
nach seinem gutdünken. Seine eigene erfindung konzentriert
er auf andere dinge.
* aus -- Ulrich Conrads. Programme und Manifeste
zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Vieweg: Braunschweig/Wiesbaden,
1981, S. 15ff.
Conrads kommentiert zu diesem Text (S. 15):
"Adolf Loos (*1870 in Brünn,ges.1933 in
Wien) bringt von seinem dreijährigen Aufenthalt in den Vereinigten
Staaten (1893-96) ein Wort von Louis H. Sullivan mit nach Wien:
'Es könnte uns nur zum Besten gereichen, wenn wir für
eine Zeitlang das Ornament beiseite ließen und uns ganz
und gar auf die Errichtung von in ihrer Nüchternheit schön
geformten und anmutigen Bauwerken konzentrierten.' Daraus entwickelt
Loos seinen radikalen ästhetischen Purismus, der ihn zum
eifernden Gegner des Jugendstils und des Deutschen Werkbundes
macht..."
Übrigens studierte Loos an der Technischen Hochschule in
Dresden (ab 1890).
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