Moderne Architektur am Neumarkt
von Prof. Jürgen Paul

Die Aufgabe war nicht leicht bei diesem Wettbewerb. Ging es doch nicht einfach um eine Bauaufgabe mit klar definierter Funktion, Raumprogramm und Kostenrahmen, sondern um ein höchst anspruchsvolles "quod erat demonstrandum" der baukünstlerischen Gestaltung, nämlich um den Nachweis, dass man im klein strukturierten und nun wieder historisch geprägten Zusammenhang des Neumarkts und - vor allem - gegenüber der barocken Erhabenheit der Frauenkirche auch ganz selbstbewusst modern bauen kann und darf - vorausgesetzt die neue Architektur besitzt eine überzeugende baukünstlerische Qualität. Doch die zur Teilnahme eingeladenen Architekten wussten auch, wie kontrovers belastet das Projekt Gewandhaus, wie emotional der Widerwillen gegen die Moderne an diesem Ort und wie widersprüchlich die Erwartungen sind. Da hieß es einerseits: konsequent in der Formensprache heutiger Architektur soll es sein, andererseits aber auch in Dialog zu treten zur (historischen) Umgebung. Eine konsensfähige Lösung zu finden, grenzte an die Quadratur des Kreises, und der Jury war die Macht gegeben zu entscheiden: "Ja, so ist es richtig. Quadratur des Kreises gelöst."

Insgesamt kann man sagen: der Wettbewerb ist nicht gescheitert. Es sind viele interessante Entwürfe eingeliefert worden, und einige, deren Verwirklichung an dieser Stelle man sich durchaus vorstellen kann. Eins muss man auf jeden Fall fast allen Teilnehmern attestieren: sie haben sich viele Gedanken gemacht. In den Erläuterungstexten kann man es nachlesen. Nicht selten fällt es allerdings schwer, das, was die Worte beanspruchen im Entwurf nachzuvollziehen. Beispielsweise wenn von einer eher langweiligen Fassade gesagt wird, sie sei wie ein Konzertsatz aufgebaut, melodisch-rhythmisch geprägt. Na ja: Dresden ist eben eine Musikstadt.

Man weiß: an dieser Stelle stand bis 1791 das Gewandhaus - ein breit gezogener Bau mit langem Dach und Zwerchgiebeln im Stil der Renaissance, ein eher bescheidener Funktionsbau, niedriger als die angrenzenden Barockhäuser. Der Neubau, der nun diese seit über 200 Jahren leere Stelle einnehmen soll, muss aus wirtschaftlichen Gründen doppelt so hoch sein - ein mächtiger breiter Baukörper. Die meisten der Architekten hatten sich entschieden, dass das, was dorthin kommt, etwas Besonderes, etwas sehr Repräsentatives sein muss. Nicht wenige suchten ihrem Gebäude einen palaisartigen Charakter zu geben in Form kubischer, streng und regelmäßig gegliederter Baukörper, und immer wird zu dem feierlichen, vielleicht auch etwas banal gewordenen, letztlich klassizistischen Motiv der Pfeilerkolonnade gegriffen. Das sieht manchmal nobel aus (Auer + Weber), manchmal in den an I. M. Pei orientierten, scharf geschnittenen, massiven Steinkörpern (Entwurf Wolf) wie ein archaisches Heiligtum oder wird zu geradezu beängstigender Monumentalität gesteigert (translocal architecture). Mitunter sieht es aber auch wie eine Kaufhausfassade aus (Staab, Zanderarchitekten, Rapp & Rapp, Hößelbarth), auch dort wo der Kaufhauspalast mit Kuben, die vielleicht an die Silhouette eines Renaissancepalastes erinnern sollen, überhöht ist (Spengler/Wiescholek, Bussmann/Haberer).

Drei Entwürfe wollen an die historische Typologie anknüpfen: Müller & Reimann an den Typus des historischen Marktgebäudes, zweigeschossig mit großem Dach; Christoph Mäckler verweist auf das barocke Johanneum und das Kurländer Palais und entwarf einen quergestellten Block mit "markantem" Satteldach, dessen monumentaler Mittelrisalit mit seinem geraden Abschluss und der großen rechtwinkligen Öffnung jedoch eher an eine Bahnhofsfassade der zwanziger Jahre erinnert. Gelungener und eindrucksvoller ist der Entwurf von Barkow & Leibinger: zwei Geschosse hoher Öffnungen zwischen profilierten Pfeilern bilden eine sanft bewegte Palastfassade, deren monumentale Vertikalität durch den Aufbau aus horizontal geschichteten, an expressionistische Architektur erinnernde Steinlamellen dialektisch konterkariert wird. Die Architekten beziehen sich dabei auf die spätbarocken Entwürfe für einen Ersatzbau des zerstörten Gewandhauses, aus deren "Erbgut" sie eine "neue Identität" "ohne zu imitieren" schaffen wollen.

Andere Architekten gestalten ihren Neubau als dekoriertes Schatzkästlein. Allerdings können die mit vegetabilischen Rankenmustern dicht verzierten Glas- oder Aluminiumflächen dann mitunter wie ein in Geschenkpapier verpacktes Paket oder wie eine Plüschtapete aussehen. Überhaupt wird in den meisten Entwürfen reichlich mit edlem Material - Sandsteinverkleidung, Muschelkalk, Travertin, Messing, golden leuchtender Baubronze, dem "Material der Residenzstädte", wie bei einem Entwurf erläutert wird - gearbeitet. Dahinter steckt wohl der Zweifel, ob die zeitgenössische Architektur schon durch ihre Bauform repräsentativ zu wirken vermag.

Der Nutzungsvorschlag, im oberen Teil Räume für Kunstausstellungen unterzubringen, hat einige der Architekten dazu veranlasst, große Öffnungen in der Fassade vorzusehen, durch die der direkte Blickkontakt hinüber zur Frauenkirche und von außen zurück in die Kunstgalerie möglich wäre (Schulz & Schulz, Barozzi-Veiga aus Barcelona).

Die Idee ist interessant, aber beide Entwürfe flogen schon im ersten Durchgang heraus. Verfolgt man die Entscheidungsschritte der Jury, dann fragt man sich oft, warum dieser oder jener Entwurf sofort aussortiert wurde, und bei anderen, warum sie es bis in den zweiten Durchgang geschafft haben. Bis dort gebracht hat es der wilde Entwurf des Züricher Büros Holzer & Kobler, eine regelrechte Kissenschlacht aus sich bäumenden Formen, die kurvig durchbrochen sind im Muster eines Tarnkleides. Die Abbildung einer Rocaille stellt den - vielleicht nur ironisch gemeinten - Verweis zum Barock her. Die Dresdner lieben Barock; hier kriegen sie modernen Barock.

Die von der Jury prämierten Entwürfe ergeben zusammen ein recht heterogenes Bild. Der erste Preis an das Büro Cheret & Bozic zeigt jedenfalls konsequent die Formensprache der Moderne. Auf jede historische Assoziation verzichtend baut er sich auf aus weit gezogenen Horizontalen im Wechsel von Glas und weiß verputzten, zweidimensional erscheinenden Flächen, die sich in leichter Bewegung gegeneinander verschieben. Ein schöner, angenehmer, wenn auch eher unspezifischer Bau würde das. Ein Jury-Mitglied attestiert ihm, dass er einen "hervorragenden Dialog mit der Umgebung" führe. Nun gut, man kann einen Dialog einvernehmlich, aber auch kontrovers führen. Dann muss man aber gute und überzeugende Argumente haben. Es bleibt die Frage, ob dieser Entwurf an dieser Stelle gut ist. Der zweite Preis, das diametrale Gegenteil des ersten, wäre es jedenfalls ganz bestimmt nicht. Der riesige ornamentierte Glaskasten der jungen Stuttgarter Architekten Berger und Röcker, von einem messingfarbenen, geflochtenen Metallvorhang (den sich die Entwerfer vielleicht aus der Dresdner Synagoge abgeguckt haben) fast ganz überdeckt, würde mit seinem hieratischen - vielleicht auch eher kitschigen - Pathos alles andere totschlagen. Die Jury kann bei ihrer Prämierung wohl kaum daran gedacht haben, dass dies hier gebaut werden sollte. Der dritte Preis an Sunder-Plassmann ist ein eher langweiliger Entwurf, der sich ambitiös auf den historischen Typus der "säulengetragenen Markthalle" und dazu noch auf den Dogenpalast in Venedig beruft, was kaum nachvollziehbar ist.
Der viertplatzierte Entwurf von Andreas Meck ist klassisch-modern, im flächigen, abstrakt-geometrisch komponierten Stil der Bauten Le Corbusiers - eine unaufdringlich-harmonische Erscheinung, die nicht stören würde. An die fünfte Stelle hat die Jury wieder etwas ganz anderes gesetzt. Hier hat das Dresdner Büro Knerer & Lang einen zu drei Spitzen gefalteten Baukörper entworfen, ganz aus im "klassischen Muster" ornamentierten Glas - eine an expressionistische Architekturen erinnernde Form, die in ihrer sakralen Erscheinung der Frauenkirche gewaltig Konkurrenz machen würde.

Die Jury macht mit ihrer Prämierung dem Stadtrat und dem potentiellen Bauherrn ein sehr gegensätzliches Angebot, das die Quadratur des Kreises eben doch offen lässt. Aber vielleicht sollte man sich doch noch einmal auch die anderen Entwürfe genau ansehen, zum Beispiel den von Barkow & Leibinger. Es handelte sich um einen eingeladenen Wettbewerb. Man konnte sich bewerben, andere wurden aufgefordert. Es wäre allerdings interessant gewesen zu sehen, was die internationale Spitzenprominenz, die Pöppelmänner von heute, wie Herzog und De Meuron, Frank Gehry, Richard Meier, Rafael Moneo oder Norman Foster hier entworfen hätten. Doch eins kann man wohl sagen: der Wettbewerb hat nicht erwiesen, dass man an dieser Stelle und im Zusammenhang des Neumarktes nicht auch selbstbewusst modern bauen kann.

 

Dresden, 15.05.07

 


J. C. Naumann (?): Entwurf zu einem Neubau des Gewandhauses (1717/18?) - (Diese Variante "zeigt deutlich die gesuchte Parallelität von Gewandhaus und Hauptwache". Stefan Hertzig: Hauptwache und altes Gewandhaus am Dresdner Neumarkt, Dresden 2004)

 


M. D. Pöppelmann: Entwurf zu einem Neubau des Gewandhauses (um 1720)

 


Barkow & Leibinger

 


Barkow & Leibinger (Modell)

 

 


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