Vorschlag für die Rekonstruktion des historischen Viertels um die Frauenkirche
in Dresden - von Prof. Oswin Hempel


 

erschienen 1955 in der DDR-zeitung "Deutsche Architektur"

Dresden - Studie zum Neuaufbau des historischen Viertels um die Frauenkirche
I Ehemaliges Ständehaus
II Johanneum
III Kunsthandwerkliches Institut
IV Hotel
V Kunstakademie
VI Desgl. Erweiterung
VII Museum
VIII Kunstausstellung
IX Albertinum
X Belvedere
XI Kurländer Palais
XII Barocke Wohnhausruinen
XIII Coselpalais
XIV Frauenkirche
XV Cafe
XVI Gesellschaftshaus
XVII Altes Landhaus
XVIII Polizeipräsidium
XIX Polizeihof
XX Stallhof
XXI Hofkirche
XXII Schloß
XXIII Georgentor
XXIV Terrassentreppe

 

schräg gestrichen = Wiederaufbau
kreuz gestrichen =   Neubauten
weiß = Grünfläche


Vorschlag für die Rekonstruktion des historischen Viertels um die Frauenkirche in Dresden - von Prof. Oswin Hempel

Im Dresdner Stadtkern nimmt der Bezirk, der sich um die Frauenkirche gruppiert, eine besondere Stellung ein. Ursprünglich außerhalb der Stadtumwallung liegend, war der Neumarkt als Frauenvorstadt mit einer kleinen Kirche für die umliegenden Dörfer bestanden.
Bei der Vergrößerung der zu eng gewordenen Stadt und mit dem Hinausschieben des Befestigungsgürtels wurde der Neumarkt angelegt und diente als Marktplatz der Stadt, umstanden von Wohnhäusern, besonders der Hanwerker. Mit dem Neubau der Frauenkirche in der Barockzeit wurde sie - nach heftigen inneren Kämpfen - die geistliche Zentrale des Bürgertums. Auch Adelspaläste siedelten sich hier an. Der bauliche Zustand war bis vor dem zweiten Weltkrieg baulich im wesentlichen derselbe geblieben, der barocke Charakter Dresdens war hier am einheitlichsten erhalten.
Die Grundform des Neumarktes hatte sich ohne feste Planung entwickelt und ist unregelmäßig entstanden. Semper hatte zu seiner Zeit der Südfront eine gewisse Vereinfachung gegeben. Der Reiz des Platzes lag weniger in der Geschlossenheit der Raumform, mehr in der Einheitlichkeit der meist barocken Fronten. Er war Wohngebiet geblieben, wodurch die monumentale großförmige Wirkung der Frauenkirche zu überwältigender Erscheinung kam. Nachdem die Märkte von den Plätzen in die Markhallen verlegt wurden, war er leer, hatte nur einen mittleren Durchgangsverkehr und war auch wirtschaftlich im Laufe der letzten Jahrzehnte wesentlich zurückgegangen. Es ist ein wichtiges Problem, diese Mängel zu beheben und dem Stadtteil bei der Neugestaltung Möglichkeiten neuer Entwicklung zu geben.

Die grauenvolle Zerstörung

Am 13. Februar 1945 ist das ganze Gebiet zerstört worden, jetzt vollständig enttrümmert und leer; nur die restlichen Stümpfe der Frauenkirche stehen inmitten eines gigantischen Trümmer-
berges von teils zyklopischen Blöcken.
Umstanden wird die Planfläche im Norden von der um etwas 5 m höheren Brühlschen Terrasse - darauf das ehemalige barocke schmale Sekundogenitur-Gebäude, künftige Galerie-, von den Baumassen der Rückfront der Akademie und des Albertinums, Bauten, die zwar ausgebrannt sind, aber zum Teil wiederhergestellt wurden. Die Westfront wird von dem ausgezeichneten Renaissancegebäude des Johanneums, dem Historischen Museum, abgeschlossen. Daneben die Rückfront des ehemaligen Ständehauses. Im Osten wird der Bauplatz von den 25 m hohen Brandmauern des größten Teils erhaltenen Polizeipräsidiums begrenzt. Im Süden stößt er an die Rückfronten der im Aufbau begriffenen Ost-West-Magistrale.
Verkehrstechnisch wird künftig ein mittlerer Wagenverkehr vom Pirnaischen Platz durch die Landhausstraße zur Dimitroffbrücke führen, im ganzen möchte dem Viertel mehr der Charakter einer stilleren Wohninsel neben dem verkehrsreichen Hauptstraßen verbleiben.

Denkmalpflegerische Aufgaben

Folgende Aufgaben liegen hier vor:
    Abdeckung der wertlosen Rückfronten der umgebenden Großbauten;
    die Ost-West-Magistrale und den zentralen Platz mit dem Neumarkt in geeigneter Form zu
    verbinden;
    die wertvollen Bauwerke des Johanneums und des Stallhofes einzubinden und wieder aufzu-
    bauen;
    den erhalten gebliebenen, sehr reizvollen Vorhof des Cosel-Palais, das selbst zerstört ist, in
    die neue Platzfront an der Frauenkirche einzugliedern;
    die beschädigte Baugruppe des Kopfes der Rampischen Straße, die einzige erhalten-
    gebliebene Dresdner barocke Wohnhausgruppe, wieder im denkmalpflegerischen Sinne auf-
    zubauen und den benachbarten neuen Hausfronten der Straße eine entsprechende Form zu
    geben.
Das Hauptproblem bildet die Wiedererrichtung der Frauenkirche, die die architektonische Dominante des Stadtteils ist und nach jeder Seite hin die Straßenbilder beherrscht. Da die Kuppel der Frauenkirche in der Stadtsilhouette von allgemein anerkannter höchster Wirkung ist, sollte ihr Wiederaufbau an der gleichen Örtlichkeit erfolgen. Die Grundmauern sind erhalten und tragfähig, die Sicherung durch einen Stahlbetonkern der inneren Pfeiler und der Kuppel durch Stahlbetonringe nach bereits vorhandenem Entwurfe geben die statischen Grundlage für ihre Sicherheit, die ihr Erbauer George Bähr in seinem kühnen Plan zu seiner Zeit nur teilweise erkennen konnte. Die Renovationen der Kirche und die dabei vorgenommenen Sicherungsmaß-
nahmen in den letzten Jahrzehnten haben genaue Detailaufnahmen hinterlassen, so daß die Dimension jedes Baugliedes und fast jedes Steines bekannt ist, die teilweise nummeriert bereit-
liegen. Die Aufbaumöglichkeit in getreuer Wiederholung ist also gegeben. Ihre Durchführung erfordert als Architekten eine Dirigentenpersönlichkeit, welche nach der gegebenen Partitur sie wieder zum Leben erwecken kann, wie ein Bachsches Ovatorium, dem die Frauenkirche im Geiste verwandt ist. Und weil die Frauenkirche eines der originellsten und bedeutendsten historischen Großbauwerke und zugleich auch das wichtigste Baudenkmal des protestantischen Kirchenbaus ist, das die monumentalste und ausdrucksvollste Form eines evangelischen Sakral-
gebäudes darstellt, ist ihr Wiederaufbau als berühmtes nationales Wahrzeichen eine zwingende Notwendigkeit und eine der größten Hoffnungen.
Nicht minder wichtig ist der Wiederaufbau des Johanneums am Jüdenhof in geeigneter Form als das einzig erhaltene Renaissancegebäude der Stadt mit einer barocken Freitreppe, ferner auch der Wiederaufbau des sich anschließenden malerischen Renaissance-Stallhofes, beides im denkmalpflegerischen Sinne. Mit dem raschen Fortschreiten des Aufbaus der West-Magistrale gilt es nun auch über das Schicksal und die Form des östlich angrenzenden Stadtteils um die Frauenkirche Klarheit zu schaffen. Die Erfolge des Wiederaufbaus in Warschau und anderen Städten Volkspolens, wo neben den bedeutendsten Objekten ihrer nationalen Baukultur auch ganze Straßenzüge alter Wohnbauten in denkmalpflegerischem Sinne wiederhergestellt werden, sind auch für uns von Bedeutung und rücken die Fragen des Wiederaufbaus des Frauenkirchen-
viertels im Sinne des überlieferten barocken Stadtkerns in unseren Gesichtskreis.


Dresden 1956, Blick von der Salzgasse auf die Reste der Coselpalais-Torhäuser, Frauenkirchen-Ruine und die neuen Wohnhäuser am Altmarkt / "Ost-West-Magistrale" Wilsdruffer Straße

Einige neue Gesichtspunkte

Ein sehr wichtiges Problem für diesen Wiederaufbau ist, ihm ein gewisses wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben zu sichern, das ihn über das reine Wohnviertel hinaushebt, durch ent-
sprechendes Einfügen von Gemeinschaftshäusern, mittleren Hotels, Gaststätten und Läden und durch kleinere Handwerksbetriebe mit Läden u.a., und ihn dadurch mit pulsierendem Leben zu erfüllen. Er wird auch in geistiger Beziehung eine Bereicherung und Ergänzung darstellen im Rahmen der repräsentativen zentralen Anlagen, da in seinem Bereiche fast alle Gebäude liegen, die den bildenden Künsten dienen.
Verkehrstechnisch werden notwendig sein freie Durchfahrten vom Pirnaischen Platz zur Dimitroff-
brücke, durch die Rampsiche Straße und Augustusstraße zur Dimitroffbrücke, ferner leichte Zugangsmöglichkeiten vom Zentralen Platz und von der Ost-West-Magistrale zur Brühlschen Terrasse sowie eine direkte Querverbindung zum Brühlschen Garten von der Ost-West-Magistrale aus, am Landhaus entlang über die Ramppische Gasse und den Volksgarten.
Die südlich vom Albertinum angelegte breite Straße zur Südfront der Akademie ist für den Verkehr ohne Wert und könnte als solche aufgehoben werden. Die hier noch stehenden Ruinen der vor drei Jahrzehnten erbauten Wohnhäuser sind zu beseitigen. Dadurch würde eine große baumbestande Grünfläche hier entstehen können, die den Gegensatz der monumentalen Gebäude der Akademie und des Albertinum saus den 80er und 80er Jahren zu den kleinmaß-
stablichen älteren Wohnhäusern der Rampischen Straße mildert. Diese Grünfläche würde als Volksgarten dem Plangebiet dienen und mit dem um 4 m höher liegenden Brühlschen Garten durch eine Treppenanlage verbunden sein. Das dort befindliche Belvedere wäre in bescheidener Größe, etwa wie der ursprüngliche Barockpavillon Brühls wieder zu errichten, jedenfalls aber nicht als Massengaststätte, wozu andere Orte geeigneter sind.
Der Tradition folgend, wäre außer den Volkswohnungen auch auf Handwerkerwohnungen mit kleineren Werkstätten und Läden, die durch die Innenstadt angewiesen sind, Rücksicht zu nehmen. Die Häuser, besonders um die Frauenkirche herum, an der Rampischen Straße, waren meist drei- oder vierfenstrige Fronthäuser, vier oder fünft Stock hoch und sehr reizvoll gestaltet; der Wiederaufbau einer gewissen Zahl diesr kleineren individuell gestalteten Häuser ist not-
wendig, und die sollten in die Straßenfronten eingefügt werden. Selbst die geschickteste Front-
bildung der normierten Volkswohnhäuser heutiger Prägung kann jene individuellen Häuser nicht ersetzen, ihnen aber eine gesteigerte Wirkung verleihen. Die sogenannten Kettenhäuser sind auszuschließen. Auch kleineren Ladengeschäften, die wertvolles Sondergut anbieten an Volks-
kunst, Kunsthandwerk, bildender Kunst, würde das Gebiet des Neumarktes wirtschaftliche Ent-
wicklungsmöglichkeiten bieten.


Wiederaufbaufähige Ruinen auf der Rampische Straße und Salzgasse 1946


Das alles zu erkennen, ist notwendig, um dem Stadtteil einen seinem historischen Charakter entsprechenden gesellschaftlichen, geschäftlichen und geistigen Charakter zu geben und die ihm eigenen unterschiedlichen Ausdrucksformen zu schaffen.

Können wir den alten Stil erreichen?

Die barocke Bautechnik war eine rein handwerkliche und mehr gefühlsmäßige, deren künstlerische Wirkung wir heute nur in begrenzter Form erreichen können. Eine historisch getreue Nachbildung der alten Hausfronten wird erschwert dadurch, daß die radikale Schuttbe-
räumung alle schmückenden Einzelheiten zerstört hat. Übrig geblien und in Verwahrung genommen sind nur einige Portale, Teile einst schöner Erker, Schlußsteine und eiserne Gitter, die einzubauen wären, und einige sorgfältig zeichnerische Detailaufnahmen, die als Anregung dienen können.
Das bei einem Gesellschaftshaus oder Hotelbau oder bei einer Gaststätte eine festliche barocke Gestaltung leichter möglich ist, ist ein Positivum. Die prachtvollen hochbarocken Einzelbauten, wie das British Hotel und das Hotel de Saxe von George Bähr, ferner das Haus Dinglingers, des berühmten Goldschmiedes, von Pöppelmann, das Harmonie-Gebäude, ehemals Gleimes Palais mit den zwei schönen Höfen und dem Semper-Saal und andere getreu wieder aufzubauen, erscheint kaum möglich wegen der unnachahmlichen Beschwingtheit im Flächenrhythmus und in den Proportionen und dem üppigen ornamentalen Reichtum. Es fehlen hierzu außer einfachen Aufnahmezeichnungen und Fotos die notwendigen Grundlagen.
Wesentlich ist, daß das auf historische kleinere Maßstäbe abgestimmte Gebiet des Neumarktes die monumentalen Fronten der Ost-West-Magistrale nicht beeinträchtigen und durch herabgezogene Übergänge und Durchgänge abgeschirmt wird. Soweit Baulichkeiten jenes Maßstabes angrenzen, wie am Jüdenhof, muß die maßstäbliche Form des Neumarktes beachtet werden.
Durch Einfühlung in die traditionelle Dresdner Bauformen mit ihrer zurückhaltenden Noblesse, duch Einfügung vorherrschend handwerklich durchgeführter Sonderbauten, durch Beschränkung der rationalisierten Formen, soweit die in äußere Erscheinung treten, durch leichte farbige Behandlung der Straßenzüge auf glatten Putz u.a. wäre die Erreichung eines Stadtbildes möglich, das dem alten nahesteht.

Neue Pläne

Das eigentlich Unsymmetrische in der Planung, das Fehlen aller Achsenbildungen, das nach und nach Gewordene in der Gruppierung der Baukörper gibt dem Stadtteil den besonderen Charakter durch die gleitenden Fronten der Straßen und Plätze und durch die sich ergebende wechselnde Verschiebung der Baukörper. Inmitten dieser ruhigen horizontalen Bewegung steht die Frauen-
kirche, leidenschaftlich aufstrebend als beherrschende Dominante. Die umgebenden Wohnhausfronten geben den Maßstab zu ihrer außerordentlichen Größenerscheinung. In sechs radial ihr zustrebenden Straßen ist sie wirksam einbezogen in den ganzen Stadtteil und die an-
grenzenden Gebiete.
Am Neumarkt ist ihr ein niedriges Bauwerk vorgelegt, das dem Platze die räumliche Geschlossenheit gibt. Eine ähnliche Anordnung war in dem Standard-Gebäude (die Wache) der Barockzeit vorhanden, das im Siebenjährigen Kriege zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Hier könnte ein Kaffee eingerichtet werden. Der Neumarkt selbst ist gegen früher soweit verkleinert worden, wie es die Wirkung der Kirche erfordert und um den Eindruck einer Platzleere zu vermeiden. Eine ansprechende Erweiterung erhält er durch den Jüdenhof mit der Hauptfront des Johanneums. Hier fehlt noch der westliche Abschlusskörper, der sich entsprechend einpassen muß. In seinem südlichen Raumteil sollte ein größeres Gesellschaftshaus mit Saal und in die westliche Raumfront ein mittleres Hotel eingefügt werden.
Der Platz wird wie früher 5 1/2 Stock hohe Bebauung erhalten, die Straßen vier Stock und der Hof gegen die Augustusstraße 3 Stock. Die neuen Straßen sind wesentlich breiter als die früheren, um das alte räumliche Verhältnis von Straße zu Platz zu erhalten. In der Straßen-
führung ist die lineare Gradlinigkeit möglichst vermieden worden; das entspricht der alten Dresdner Plangestaltung und trägt wesentlich dazu bei, dem Straßenbilde den beschwingten Rhytmus, das lebendige Fließende und die räumliche Erscheinung zu geben. Das brachtvolle Kopfbild der Rampischen Straße gegen dei Frauenkirche bringt das sprechend zum Ausdruck.
Gegen die Terrasse fällt das Gelände etwa 3 1/2 m ab; von großen Hochwässern wurde es über-
flutet, eine Auffüllung von 2 bis 3 m ist notwendig. Eine Durchfahrt vom Plangebiet zur Elbe unter der Terrasse am Ständehaus würde ausreichen, um den anderen Durchlaß an der Kunstakademie nur als Durchgang mit Stufen auszubilden. Hier einen größeren Wohnhausblock aufzubauen, ist nicht zu empfehlen. Dagegen könnte aber hier ein Institut für alle Sparten des Kunsthandwerks errichtet werden. Dresden braucht für die weitere Entwicklung seines Kunst-
gewerbes, das besonder die innere und äußere Ausgestaltung betrifft, wieder eine Zusammen-
fassung in Versuchs- und Lehrwerkstätten, damit die Tradition der Kunststadt nicht verloren geht.


Kunstakademie 1946

Die Großbauten, die der Kunst dienen, bilden einen Halbkreis als nördliche und westliche Begrenzung des Plangebietes. Durch Wege und Durchgänge sind sie in enger Verbindung gebracht, wodurch der ausschießliche Verkehr über die Terrasse wegfällt. Nach den bekannt-
gegebenen Plänen des Ministeriums für Kultur ist im nächsten Fünfjahrplan der Wiederauf- und Erweiterungsbau der Akademie und des Kunstausstellungsgebäudes vorgesehen. Damit wäre auch die Erneuerung der an das Plangebiet angrenzenden Südfronten dieser Baugruppe und ein besserer Zusammenklang mit den benachbarten Bauten zu erwarten, und der Wunsch zu erfüllen, die übersteigerte Monumentalität und den zweifelhaften Reichtum zu korrigieren und zu beseitigen, auch die Silhouette zu vereinfachen und besonders den Glaskuppelaufbau mit Kupferblech zu verkleiden.
Um diese vielseitigen und individuellen Gestaltungen durchführen zu können, ist die Heranziehung mehrerer hierzu befähigter Architekten notwendig.


Blick vom Jüdenhof auf die Frauenkirche

Blick vom Durchgang an der Ost-West-Magistrale auf die Frauenkirche

Blick von der Augustusstraße auf das Gesellschaftshaus (ehemaliger Standort des Hotel Stadt Rom)

Blick vom Jüdenhof auf die Frauenkirche

Die städtebauliche Gestaltung des Dresdner Neumarktes und seiner Umgebung (1957)

Von Professor Oswin Hempel

In dem aufschlußreichen Bericht des Kollegen Röthig vom Stadtplanungsamt werden die städte-
baulichen Absichten des Chefarchitekten eingehend erläutert, und zwar diesen Teil des Stadtkern in Erinnerung an den früheren, vorherrschend barocken Zustand wieder aufzubauen.

Die Tatsache, daß im gesamten Stadtkern nur die berühmten Einzelbauten im wiederaufgebauten Zustand erhalten geblieben sind, während alle Zwischenglieder, die Masse der Wohn- und Geschäftshäuser, restlos zerstört wurden, hat zu schwierigen, problematischen Erwägungen geführt.

Der frühere Charakter der Kernstadt bot im Straßen- und Platzbild mit den zahlreichen Barock- und Renaissancebauten und den vornehmen Palais sowie den hervorragenden Bürgerhäusern eine seltene harmonische Einheit, die durch die Neubauten der letzten Jahrzehnte nicht wesentlich beeinträchtigt wurde, und gab der Stadt die eigene Atmosphäre, die in der ganzen kultivierten Welt geschätzt war. Während der Zwinger, die Semper-Galerie und das Opernhaus, die Hofkirche, das Schloß und das Taschenbergpalais ein in sich geschlossenes architektonisches Ganze von höchstem Wert bilden, das am Westrand von Wohnungen und Geschäftsstraßen berührt wird, ist nur noch der östliche Teil des Stadtkerns um den Neumarkt von einzelnen wiederaufbaufähigen älteren Monumentalbauten, der Frauenkirche in der Mitte, dem Johanneum, dem Kurländer Palais und dem alten Landhaus, durchsetzt. Hier ist das Gebiet, wo die neuen Wohn- und Geschäftsbauten zu einer neuen Einheit mit den übriggebliebenen, wieder-
aufbaufähigen alten gebracht werden müssen, um eine Erinnerung an die ehemaligen Straßen- und Platzwirkungen zu schaffen.

Im neuen Stadtplan des Chefarchitekten ist die im Wiederaufbau begriffene, teils fertiggestellte Ost-West-Magistrale mit dem Altmarkt als eine Zäsur des Stadtkerns anzusehen, wodurch ein westlicher und ein östlicher Teil abgegrenzt werden. Während jener mittlere Teil den ausgesprochen repräsentativen Charakter einer modernen Großstadt tragen und verkehrsreich sein wird, der abgesonderte westliche Teil seiner früheren wirtschaftlichen Bestimmung ent-
sprechend wieder Kaufläden und Geschäftsräume enthalten wird, soll der östliche durch die anliegende Kunstakademie, das Kunst-Ausstellungsgebäude, das Albertinum und die Museen einen ausgesprochen musischen Charakter tragen und mit entsprechenden Sonderbauten durchsetzt sein.

Aus dem Bericht des Kollegen Röthig geht hervor, daß die Straßenzüge und Plätze im neuen Plan sich weitgehend dem alten Zustand anschließen, und daß ihre, dem Barock eigene, geschlossene Raumwirkung wieder aufgenommen wird. Ferner wird es notwendig sein, daß die Wohnhausfronten durch eine mäßige Geschoßhöhe für die alten und neuen Sonderbauten in ihren Reihen als ruhige Folie und Maßstab wirken. Besonders wichtig ist dies, um die Frauen-
kirche wieder die monumentalen Wirkung zu sichern. Daß man eine flächige Behandlung der Fassaden, glatten Putz, farbig getönt, und Sandsteingliederungen wieder aufnehmen wird und das erneuerte Handwerk heranzieht, wird weiter zur Erreichung des gesteckten Zieles beitragen. Schwieriger wird es werden, den Einzelbauten das aus der inneren Bau- und Zweckform realistisch entwickelte eigene Gesicht nach außen in Anlehnung an die Tradition zu geben.
Nur bei den in denkmalpflegerischer Form wiederhergestellten Bauten ist es möglich, daß die innere Benutzung und äußere historische Form sich nicht decken, aber reizvoll zusammen-
wirken können. Bei Kopien und Nachbildungen wird sich ein kulissenhafter Ausdruck immer aufdrängen, wenn der inneren, zweckbestimmten Form im äußeren eine ihr fremde Ausdrucksform aufgeprägt wird. Künstlerischer Takt und Einfühlung werden dem Architekten den Weg weisen, zeitgemäß zu sein und sich der alten Einheit anzupassen.

Die neuen und dem musischen Charakter des Neumarktviertels entsprechenden Sonderbauten sind so mannigfaltiger Natur, daß sie mit den Wohnhausbauten dem Stadtviertel ein eigenes Gesicht geben werden, das der früheren Vielgestalt entspricht.

So sollen an dem Kunstakademiegebäude und zur Verdeckung der westlichen Brandmauer ein Erweiterungsbau angefügt werden und an anderer Stelle für die jungen Kunststudenten ein Wohnheim und ein dem Verkehr der Ost-West-Magistrale benachbartes Ausstellungs- und Verkaufshaus für Malerei, Grafik und Plastik und alle Sparten des Kunsthandwerks entstehen. Weiterhin sollen einige Atelierhäuser, teil mit Wohnungen eingefügt und das feingliedrige, spätbarocke Kurländer Palais als repräsentatives, gesellschaftliches Heim den bildenden Künstlern zur Verfügung gestellt werden.

Wenn es weiterhin gelingt, schmale drei-, vier- und fünffenstrige individuelle Häuser für Volks-kunst, Antiquitäten, Kunsthandwerker mit Werkstätten und Läden den Straßenfronten einzugliedern, ist eine weitere Belebung möglich. Ein Hotel von mittlerer Größe und eine Gaststätte, die einen volkstümlichen Charakter tragen und den Werktätigen aus Stadt und Land und der Intelligenz gemeinsam dienen, werden das Viertel in der äußeren Erscheinung wesentlich bereichern und zugleich einen natürlichen Weg zur Vermittlung einer volksverständlichen, künstlerischen Kultur darstellen. Schließlich werden auch Erörterungen gepflogen über den Einbau des Theaters der Jungen Generation zwischen Akademie, Ständehaus und Brühlscher Terrasse, mit einem Zugang vom Vorplatz an der ehemaligen Töpfergasse. Diese sehr reizvolle Bauaufgabe würde eine symphatische Bereicherung des Neumarktviertels bedeuten. Die anderweitige Benutzung der abfallenden Fläche als Parkplatz für den Zubringerverkehr würde hier einen nicht zu verdeckenden Fremdkörper im geplanten Ensemble schaffen. Es wäre zu untersuchen, diesen Parkplatz oberhalb der noch in Trümmer liegenden Dr.-Friedrichs-Brücke zu verlegen, wo er auch Übersicht über den Schiffahrtsverkehr bietet.

Durch alle diese Maßnahmen der Konzentration wird nicht nur eine dem sozialistischen Städtebau mögliche Gestaltungsform entwickelt, sondern auch die Auffindbarkeit im Stadtganzen erleichtert und der Bedeutung der Kunst in der Stadt Rechnung getragen.

Von der Ost-West-Magistrale aus sollen zwar kein Fahrverkehr zum Neumarkt, aber mehrere Zugänge zur Terrasse und zu dem ihr östliche gelegenen Kunstausstellungsgebäude führen. Es wird Wert darauf gelegt, daß das Kunstausstellungsgebäude mit dem Neumarktviertel und der Ost-West-Magistrale eng verbunden ist.

Kollege Röthig weist darauf hin, daß alle die entwickelten, städtebaulichen Maßnahmen nicht ohne den Wiederaufbau der Frauenkirche zu denken sind. Daß dieses weltberühmte Bauwerk über den erhaltenen Unterbau wieder entsteht, würde nicht nur die Stadtsilhouette wieder in voller Schönheit entstehen lassen, es würde auch der Bedeutung George Bährs entsprechen, der aus dem Volke hervorgegangen ist, während die Mehrzahl der höfischen Bauwerke von ausländischen Künstlern geschaffen wurde.

Mit dem Neumarktviertel ist noch ein weiteres, wichtiges Problem verbunden, und zwar die endgültige, städtebauliche Einbindung der monumentalen Gebäude, der Kunstakademie und des Kunstausstellungsgebäudes, des Albertinums. Fast dreiviertel Jahrhundert war die Umgebung derselben gegen die Rampische Gasse ein ungelöstes Problem. Durch Einführung und Ausgestaltung einer größeren Grünfläche wird eine Milderung der Kontraste geschaffen. Dadurch erstehen auch neue Straßenbilder: so vom Kurländer Palais und von der Terrasse.

Der schmale Platz zwischen den großformatigen Bauten der Frauenkirche und der Rückfront des Akademiegebäudes läßt sich nach Beseitigung seiner mangelhaften Details ebenfalls zu seiner neuen Geschlossenheit steigern, gefördert durch den niedrigen, sehr anmutigen Rokokovorhof des Coselpalais. Ein getreuer Wiederaufbau des Palais selbst wird durch die andersartigen Zweckbestimmung als künftiges Kirchengemeindehaus wohl nicht möglich sein.

Es soll nicht vergessen werden, daß parallel zu den erhöht liegenden Frontbauten auf der Brühlschen Terrasse hinter ihnen eine zusammenhängende Folge kleinerer Platzräume entsteht, und zwar vom Brühlschen Garten ausgehend zum Frauenkirchplatz über den Platz vor dem Theater der Jungen Generation, zum Stallhof, zum Platz hinter dem künftigen Kulturhaus, zum Schloßhof, zum Platz am Taschenbergpalais und endlich zum Zwingerhof, eine Raumfolge, die altes und neues Dresden in wechselnden Eindrücken zeigt und Ersatz für viele zerstörte Stadträume ist.


Der Text erschien in der DDR-Zeitschrift "Deutsche Architektur" im Jahr 1957. Professor Oswin Hempel (1876- 1965) studierte an der damaligen TH Dresden bei Paul Wallot und war Mitarbeiter von Wilhelm Kreis. 1907 - 43 ord. Professur TH als Nachfolger F. Schumachers. Werke u.a.:
Keramikfassade Bärenschänke Webergasse 1911 und 1931- 34, Schillerdenkmal Albertplatz 1914, Haus Glausch Klotzsche im Stil des Neobarock 1922, Innenausstattung "Gambrinus" Postplatz 1926, Holzhäuser Hellerau 1926- 28, Apostelkirche Trachau 1927- 29, Erweiterung Stadtmuseum Bautzen 1929, emeritiert 1943, Entwurf "Hotel am Narrenhäusel" 1946, Entwurf Neumarkt als Museumsplatz mit Gemeindehaus Frauenkirche, Musikschule, Konzertsaal mit Neubert und Berthold für die Ausstellung "Das Neue Dresden" 1946, Wiederaufbau Diakonissen-kirche nach 1946, Hohnstein Umbau Burg als Jugendherberge nach 1945, Entwurf Neugestaltung Frauenkirchenviertel im Stile Paul Wolfs um 1955.