von Dr. Pär Svanborg (Schweden)
Blick aus einem
Hotelzimmer vom Hotel de Saxe auf das Quartier III
Blick auf die
rekonstruierte Schauseite sowie die neuen Fassaden Richtung Töpfergasse
vom Quartier I
Zwischen Neumarkt,
Kleiner Kirchgasse, Frauenstraße und Schuhmachergasse entsteht
das Quartier V/2 (Schützhaus-Ensemble).
Der traumhafte
Ausblick von dieser Perspektive umfasst das ganze historische Zentrum.
Diese Sicht auf das Johanneum z.B. wäre durch einen Neubau
auf dem Grundstück des mittelalterlichen Gewand- hauses komplett verstellt.
Hier ist die
Situation noch klarer zu überschauen. Das große Grundstück
in der Mitte des Bildes umfasst in etwa die Fläche des ehemaligen
mittelalterlichen Renaissance-Gewandhaus. Es
soll jetzt evtl. im Zuge der Bebauung des Quartiers VI wieder bebaut
werden. Die Gebäudemasse des Neubaus würde den gerade im Entstehen begriffenen Platz
Neumarkt stark verengen. Wir als Gesellschaft Historischer Neumarkt
Dresden e.V. sind aus städtebaulichen Gründen gegen eine
Bebauung dieser Fläche, um den ausgewogenen Raumklang des Neumarktes
nicht zu beeinträchtigen.
In der Bildmitte:
das neue Hotel de Saxe. Dazu schreibt in der letzten Ausgabe der
"Zeit" Hanno Rauterberg im Zusammenhang mit dem wiederaufgebauten
Braunschweiger Schloss:
"In anderen Städten ist das ähnlich. Auch dort brennt
die Leidenschaft fürs Wiederaufbauen historischer Bauten, auch
dort geht es meist nur um Stimmungskulissen und nicht um historische
Zeugnisse. Das zeigt sich schon daran, daß nicht selten originale
Denkmale verkommen, während gleichzeitig verlorene Gebäude
mit viel Geld nachgebaut werden. Dresden ist besonders schizophren:
zerhaut das Weltkulturerbe des Elbtals, während in der Innenstadt
die Rekonstruktinitis grassiert. Jüngst wurde dort ein neues
Hotel eröffnet, barock in der Anmutung, dessen Vorbild aber
schon Ende des 19. Jahrhundert abgerissen und durch einen Neubau
ersetzt worden war. Das Hotel heilt also, anders als die neue Frauenkirche,
keine Kriegswunden. Vielmehr setzt es sich ganz entspannt über
die Geschichte hinweg und lässt das 18. Jahrhundert wiedererstehen.
Es soll nur aussehen wie ein Denkmal, es soll keines sein.
Ein Denkmal wäre ja auch unbequem. Es passt nicht ins übliche
DIN-Denken, es taugt nicht zur beliebigen Hülle, die man in
Braunschweig allen möglichen Zwecken überstreifen kann.
Es verlangt, altmodisch gesagt, Demut.
Moralisch ist es nicht verwerflich, ein altes Haus abzureißen
oder ein verlorenes Haus zur rekonstruieren. Fraglich ist nur, was
dabei am Ende entsteht. Eine Gegenwart, die alles beherrscht, Zeit
wie Raum, die selbst das historisch Gewachsene künstlich reproduziert,
wäre wohl an Langeweile kaum zu überbieten. Nichts wäre
mehr unverfügbar, das Gestern immer nur eine Laune der Gegenwart
- Las Vegas überall.
Natürlich, die Anti-Aging-Gesellschaft mag so etwas. Sie ist
stärker denn je auf das Bleiben und Beharren ausgerichtet,
darauf, selbst den Chromosomensatz so zu manipulieren, daß
der Mensch sich aus seiner zeitlichen Bedingtheit entwindet und
als Klon für immer der bleibt, der er nie war. Allerdings muss
dieser Mensch, der Zeit enthoben, dann auch damit rechnen, dass
seine Welt so aussieht wie das ECE-Schloss - ein Geschichtszwitter,
nicht heutig, nicht gestrig, auf bedeutsame Art bedeutungslos."
(Hanno Rauerberg, Kaufen wie bei Königs. Braunschweig hat sein
Schloss wiederaufgebaut - als Fassade für ein Einkaufszentrum
des Otto-Konzerns. "Die Zeit" Nr. 14 vom 29. März
2007)
Hätte man
stattdessen tatsächlich jenes Gebäude wiederaufbauen soll,
was anstelle des barocken Hotel de Saxe 1888 an dieser Stelle gebaut
wurde: das eklektizistische, sandsteinverkleidete Gebäude der
Reichspost? Hier in einer Vorkriegsaufnahme mit dem Denkmal Friedrich
August II.
(Foto: Deutsche Fotothek / SLUB)
Das
Wort "Rekonstruktinitis" meint wohl Krankheit. Sollen
denn unsere polnischen Nachbarn auch alle psychisch krank gewesen
sein, als sie einige von ihren zerstörten historischen Innenstädten
(Warschau, Danzig, Wroczlaw) rekonstruierten? Am
Dresdner Neumarkt wird zudem, was dem Zeit-Autor wohl entgangen
ist, eine Mischung aus Rekonstruktionen und Neubauten errichtet.
Darüber wird seltsamer-weise nicht berichtet. Die Beißreflexe
sind zu hoch.