Heinrich Magirius
 

George Bährs Frauenkirche als Mitte der Bürgerstadt Dresden



(...)Fast unumstritten ist inzwischen, daß in diesem Stadtgebiet die historische Platz- und Straßenräume wiedererstehen und daß die Geschoßhöhen auf den Kirchenbau Bezug nehmen müssen. (...) Es ist in Erinnerung zu bringen, daß der Neumarkt mit dem Jüdenhof, die Rampische Straße, die Landhausstraße, Moritzgasse, Galerie- und Frauengasse, Schösser- und Sporengasse und die Schloßstraße vor 1945 einen fast unberührten Baubestand an Bürgerhäusern und Palais des 16. bis 18. Jahrhundert aufwies, festgehalten in zahlreichen Gemälden, graphischen Darstellungen, Fotos und Plänen. Reste dieser zahlreichen Kostbarkeiten erhielten sich mit den Umfassungsmauern des Kurländer- und den Hofgebäuden des Coselpalais. Die Fassaden der Barockstraße Rampische Gasse, die zum Wiederaufbau vorgesehen waren, wurden erst 1958 gesprengt. Details wie Brunnen des Hoymschen Palais und des Hauses Frauenstraße 9, Teile vom Renaissanceerker des "Schütz"-Hauses Frauenstraße 14 sowie wesentliche Partien der Fassade des "British Hotel" auf der Landhausstraße wurden geborgen. Nicht weniger wichtig aber ist, was im Boden der Innenstadt verborgen ist. Dabei handelt es sich um in Hof- und Straßenräumen noch mehr oder weniger unzerstörte Kulturschichten vergangener Jahrhunderte. (...) Im Sinne einer "behutsamen Stadterneuerung" wäre auf diese archäologischen Urkunden Rücksicht zu nehmen und von ihnen beim Neuaufbau auszugehen.

Ein solches Quartier (mit Parzellenstruktur) sichert dem Zentrum eine flexible Nutzung und langlebige Urbanität und dürfte schon deshalb im höchsten Maße wirtschaftlich sein. In diesem Sinne wiederaufgebaute Zentren wie München, Freiburg, Münster und Nürnberg haben sich im öffentlichen Bewußtsein bewährt, während die seinerzeit "modernen" Stadtkonzeptionen wie Kassel, Hannover oder Frankfurt a.M. und Stuttgart keinen Bestand gehabt haben und dauernd mühsam nachgebessert werden, ohne daß die Atmosphäre wesentlich zum Positiven verändert wird. Aus solchen Fehlern sollte in Dresden unbedingt gelernt werden. Die historische Ausgangslage 46 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg zwingt einfach zu vertieftem Nachdenken, was bei dem Wiederaufbau der Innenstadt gewonnen und verspielt werden kann. Gewonnen wird nur, wenn mit der Frauenkirche als Mitte diese Stadt wieder einen urbanen Charakter erhält, wenn viel intensiver, als das unmittelbar nach dem Krieg möglich war, auf den historischen Charakter auch der Einzelgrundstücke Rücksicht genommen würde. Die "Quellenlage" dazu ist in Dresden denkbar günstig. Für folgende Staßenzüge sind sämtliche Fassaden in ihrem Zustand vor 1945 fotografisch dokumentiert: Neumarkt, Jüdenhof, Töpferstraße, An der Frauenkirche, Rampische Gasse, Salzgasse, Schloßstraße. Auch die Einmündungen von Frauenstraße, Galeriestraße, Moritzstraße und Landhausstraße in den Neumarkt sind fotografisch überliefert. Fassadenaufmaße liegen von sämtlichen Bürgerhäusern der Nordseite der Rampischen Straße vor, von der Südseite von drei Häusern. Fassadenaufmaße existieren weiter von den Fassaden des Hoymschen Palais - hier auch von den Fassaden der Höfe -, vom Hotel de Saxe und British Hotel an der Moritz- und Landhausstraße, vom Regimentshaus und vom Dinglingerhaus am Jüdenhof, von der "Schiffsmühle" an der Frauenstraße, und zwei Eckhäusern an der Schösser- und Sporergasse und von mehreren Häusern an der Schloßstraße. Von den meisten der genannten Bauten sind auch Grundrisse überliefert, so daß nicht nur die "Leitbauten", sondern der gesamte nördliche Straßenzug der Rampischen Gasse, der Komplex des Hoymschen Palais', das Stadthaus an der Landhausstraße, das Hotel de Saxe und das British Hotel, sowie zwölf weitere Häuser an der Schloßstraße und einige Häuser an der Galerie- und Frauenstraße auch grundrißlich exakt einschließlich ihrer Höfe wiederhergestellt werden könnten. Das sorgfältige Eingehen der Projektanten auf die Grundrißstruktur der Parzellen wäre dringend zu fordern. Der Vorwurf, hier ein bloß,es "Disneyland" zu kreiren, könnte sich nur erheben, wenn - wie am Römer in Frankfurt a.M. oder am Markt in Hildesheim - die Grundriß- und Baustruktur mit den Fassaden nicht übereinstimmen. Wenn hingegen die Parzelle und das Einzelhaus wirklich den funktionalen Kern der Gestaltung bildet, wird die historische Erscheinung ohne Bruch in eine multifuntionale Ordnung der zukünftigen Stadt hinübergerettet werden. Die weniger gut dokumentierten Bauten könnten also grundrißlich mehr oder weniger neu strukturiert werden, jedoch nicht unabhängig von ihrer Rolle im gegebenen Ganzen, das von vier- und füngeschossigen Putzfassaden mit Ziegeldächern bestimmt ist.

(...)Die Frauenkirche muß - wenn sie nicht nur in der Silhouette, sondern auch im Leben der Stadt wieder ihren Platz erhalten soll - die ihr gemägße Umgebung zurückerhalten. Der Stadt Dresden wiederum wird damit ein verlorengegangener Maßstab wiedergeschenkt, mit dem auch die höfischen Bauten an Elbe und Theaterplatz historisch verständlicher werden und an Gestaltungsqualität gewinnen. Das Frauenkirchenquartier in dieser Form wird wieder das eigentliche Herzstück der bürgerlichen Stadt Dresden werden.

 

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