Ausgewählte Beiträge aus Universitätsjournal 3/98
vom 17. Februar 1998

Zwischen Louvre und Disneyland
Querelen um die Konzeption für das Dresdner Schloß

188 Millionen Mark hat er bisher gekostet, der Wiederaufbau des Dresdner Schlosses. Wenn im kommenden Jahr der Rohbau - allerdings noch ohne Ostflügel - fertiggestellt wird, werden 290 Millionen in dem Bau stecken. Die kalkulierte Gesamtsumme der ersten beiden Bauabschnitte beträgt stolze 660 Millionen Mark.

Bei diesen Summen sollte man eigentlich meinen, daß schon lange feststeht, nach welchen Plänen das am 13. Februar 1945 fast völlig zerstörte Gebäude wiederaufgebaut und wie es später genutzt wird. Doch weit gefehlt: Zwar existierte schon zu Vorwendezeiten eine »Denkmalpflegerahmenzielstellung«. Doch diese widersprach westdeutschen Gepflogenheiten, welche die Konservierung erhaltener Bausubstanz über die Restauration oder gar Rekonstruktion von Gebäuden stellen. So schien nach der Wende der Ost-West-Konflikt bei den Wiederaufbaubestrebungen vorprogrammiert.

Doch erst Falk Jaeger, Dozent für Architekturtheorie an der TU Dresden, hat diesen Konflikt mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Februar 1995 in die (Dresdner) Öffentlichkeit getragen. Der Beitrag mit dem bezeichnenden Titel »Die Erfindung der Geschichte«, der in der Lokalpresse sehr verkürzt zitiert wurde, entfachte einen Sturm der Entrüstung (vgl. auch UJ 5/95). Falk Jaeger warf darin den Dresdner Denkmalschützern vor, »historische Trugbilder errichten« zu wollen, »angesichts einer durch Krieg und sozialistischen Wiederaufbau entstellten, ihrer Geschichtlichkeit fast gänzlich beraubten Stadt«. Grund für den Vorwurf war vor allem, daß die Denkmalpfleger nicht in jedem Falle den (recht gut dokumentierten) Zustand wiederherstellen wollten, den es nach dem letzten Umbau durch Dunger und Fröhlich vor 100 Jahren hatte. Sondern sie wollten teilweise ältere Bauformen rekonstruieren und nahmen dabei in Kauf, daß erhaltene Bausubstanz weggerissen werden mußte. Dem Anspruch, einen »deutschen Louvre« zu schaffen, stellte Jaeger das entgegengesetzte Kultur- und Architekturkonzept gegenüber, befürchtete ein »historisches Disneyland«, in dem von allen Epochen »das Schönste« Bestand habe.

Von November 1995 bis Juni 1996 arbeitete unter Federführung des Finanzministers und des Ministers für Wissenschaft und Kunst eine international besetzte Kommission von Denkmalpflegern, Architekten und Museologen an einem Gutachten »Museumskonzeption Dresden - Wiederaufbau Dresdner Schloß«, welches sie vergangenes Jahr vorlegten. Darin verzichten die Denkmalpfleger auf einige der Forderungen, die Falk Jaeger 1995 kritisierte. So soll der sogenannte Riesensaal - der seinen Namen den an die Wände gemalten kriegerischen Atlanten verdankt - nur noch der Raumform nach wiedererstehen. Von einer Rekonstruktion der Raumstruktur der Renaissancezeit - die den Abriß der Ostwand von 1898 bedingen würde - nehmen sie Abstand. Auch die Nachbildung der Schloßkapelle im Stil des 16. Jahrhunderts wird seitens der Denkmalpfleger nicht mehr gefordert, bleibe aber - wie sie in ihrem Teil des Gutachtens formulieren - »weiterhin zu diskutieren«.

Vor allem in diesen Hinweisen auf künftigen Diskussionsbedarf zeichnet sich für Falk Jaeger ein Scheitern des Gutachtens ab. »Über die strittigen Punkte, den Riesensaal, die Schlo§kapelle, die Sgrafitti im Schloßhof und das Tempietto am Ostportal,«, erklärte er gegenüber UJ, »haben sich die Denkmalpfleger in der Kommission nicht im Sinne von Gutachtern geäußert, die einen Rat geben. Deshalb sehen sich ihre Dresdner Kollegen nicht veranlaßt, ihr ursprüngliches Konzept zu überdenken.« Auch von den Architekten zeigt sich Jaeger großteils enttäuscht: »Sie haben teilweise utopische, nicht realisierbare Dinge gemacht, ohne sich mit den eigentlichen Problemen auseinanderzusetzen.«

Professor Jürgen Paul, der Inhaber des Lehrstuhls für mittlere und neue Kunstgeschichte an der TU, ist gleichfalls nicht unbedingt begeistert vom Ergebnis der Kommission, der er angehörte. Beispielsweise sei die Frage des Museumszugangs neu aufgeworfen worden. Ansonsten habe sich nicht viel geändert, vieles vom alten Konzept sei mit Recht bestätigt worden. »Ich habe zwar in der Kommission mitgewirkt«, so Paul, »und sehe die Probleme. Doch diese lassen sich nicht vom theoretischen Standpunkt eines Sittenkanons der Denkmalpflege her lösen. Man muß den Dresdner Kontext, die Vorgeschichte betrachten. Es ist gut, daß man nun endlich 'zu Potte kommt'«.

Und »zu Potte« kommt man nun: Am 16. Dezember vergangenen Jahres beschloß das Kabinett die aktualisierte »Museumskonzeption Dresdner Schloß«, derzufolge vier Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Schloß ihr Domizil finden. Das Grüne Gewölbe wird voraussichtlich bis 2006 in seine alten Räume im Westflügel zurückkehren. Außerdem werden - neben den Direktionsbereichen, Restaurierungswerkstätten und Depots der Museen - die Rüstkammer, das Münzkabinett und das Kupferstichkabinett ihren Platz im »Museum sächsischer Kultur und Geschichte« finden. Wichtigster Vorteil des Umzugs ins Schloß dürfte für alle Museen sein, daß sie ihre Ausstellungsfläche um etwa ein Drittel erweitern. So sind beispielsweise Turnierinszenierungen von Harnischen für Mann und Roß im Riesensaal geplant, die natürlicherweise einen großen Platz beanspruchen.

Ein Provisorium wird übrigens noch in diesem Jahr in der Schloßkapelle eingerichtet: Mit Beginn der Spielzeit 1998/99 wird das Ensemble des Kleinen Hauses des Staatsschauspiels im Schloß »gastieren«, weil die Bühne wegen des desolaten Bauzustandes des Gebäudes für mehrere Jahre geschlossen werden muß.

Grit Armonies/Patricia Glöß