Über Authentizität
von Thomas Filip



Bereits fertiggestellte Kuppelausmalungen in der Frauenkirche



Hotel de Saxe im Rohbau - April 05


Thomas Filip (Dresden, 04. April 2005)

Das Hotel De Saxe wird ein authentisches bauliches Zeugnis einer Vielzahl verschiedener historischer Umstände sein:

a) Zuallererst kündet das Hotel de Saxe von der Rückbesinnung auf eine im 2. Weltkrieg untergegangene Baukultur und Stadtbaukunst. Eine gestalterische Sprache, die über 40 Jahre auf dem Territorium der ehemaligen DDR kaum Beachtung fand - mit Ausnahme einer kurzen Phase der "Nationalen Tradition" in den ersten Jahren des Wiederaufbaus - wird neu artikuliert. Die Rückbesinnung auf unsere kulturelle Vergangenheit, auf das Kunstschaffen unserer Vorfahren, ist die Folge des Empfindens von Leere, Öde und Beliebigkeit in vielen unserer Städte. Ich halte dies für einen historischen, allmählich voranschreitenden Bewusstseinswandel in unserem Land - so auch in Dresden. Bauten wie das Hotel de Saxe erzählen davon. Geschichte wird damit baulich manifestiert. Ein unauthentisches Geschehen?

b) Beton ist der Baustoff der Zeit und nicht einfach nur ein billiger Ersatz, weil das Geld sonst nicht gereicht hätte. Beton ist stabil, belastbar, haltbar, leicht verarbeitbar und vereinfacht Bauabläufe ungemein. Jeder barocke Baumeister hat die technischen Vorzüge seiner Zeit zu nutzen gesucht. Warum nicht wir? Dies ist kein Plädoyer für Beton - ich liebe Ziegelmauerwerk -, aber der Einsatz von Beton ist eben Ausdruck UNSERER Zeit, UNSERER Gegenwart, UNSERER Kultur und damit authentisches Geschichts-Zeugnis. Vieles an unserer Zeit muss kritisiert werden - aber nicht alles ist zu verwerfen. Beton nicht gleich Platte! Wir sind nicht Sklaven irgendeines denkmalpflegerischen Idealzustandes, dürfen also sowohl in der Grundgrissgestaltung als auch in der Materialwahl von dem historischen Vorbild abweichen, um den Bedürfnissen und Gegebenheiten unserer Zeit gerecht zu werden. Jede Zeit hat mit ihren Mitteln das bauliche Erbe der Vorfahren weiter entwickelt. Gebäude sind zu allen Zeiten umgebaut, aufgestockt, zusammen gelegt, ihres Zierrats beraubt oder mit neuem Zierrat versehen worden - jeweils so, wie es die Zeit verlangt hat. Wir dürfen das auch!

c) Schließlich: Viele der im preußischen Kanonenhagel beschädigten oder zerstörten barocken Bürgerhäuser sind vereinfacht bzw. abgewandelt wieder aufgebaut worden, weil die Mittel der Zeit nicht mehr zuließen. Auch am Hotel de Saxe wird manches Detail aus Kostengründen nicht exakt so wieder aufgeführt werden, wie es vor 1888 war. Das Haus wird somit auch zum baulichen Zeugen einer wirtschaftlich schwierigen Zeit - einer Zeit, in der Bestmögliches zwar erreicht werden soll, aber das Beste nicht immer möglich ist. Das Hotel de Saxe erzählt somit die Geschichte einer Zeit der verstärkten Rückbesinnung auf das baukünstlerische Schaffen unserer Vorfahren, es kündet von den uns heute zur Verfügung stehenden Bautechnologien und Baustoffen, und es erzählt von dem Ringen um die anspruchsvolle Neugestaltung eines Stadtzentrums in wirtschaftlich extrem schwierigen Zeiten. Eine spannende Geschichte, meine ich!

Fazit: Ich halte es für viel zu kurz gedacht, in einem nach historischem Vorbild wieder aufgebauten Gebäude am Neumarkt stets nur das authentische Zeugnis barocker Baukunst zu suchen. Wird das Gebäude auf diesen Zweck reduziert, muss es minderwertig und immer hinter dem historischen Vorbild zurück bleiben. Wird der Bau aber nicht dazu verdammt, möglichst originalgetreuer Spiegel der Vergangenheit zu sein, sondern erlaubt man ihm, vor allem eine Reflexion der Gegenwart zu sein, wird er neu mit Sinn, ja mit Würde gefüllt.

 

Auch die Moderne spielt mit Echtheit und "Lüge", mit historischer Wahrhaftigkeit und schönem Schein. Beispiel: Luxushotel "Four Seasons" am Berliner Gendarmenmarkt, gebaut 1999. Von außen ein moderner Bau - betritt man die Hotellobby ist man ob dieser täuschend echt nach-empfundenen Welt einer noblen Belle epoque maßlos erstaunt, die sich durch alle Räume des Erdgeschosses zieht - mit Teppichen, echten Kaminen, Standuhren, Kronleuchtern und alles, was die Gründerzeit damals wie heute erfreut(e).