Sächsische
Zeitung,
01. Juni 2010
Die
Frauenkirche braucht eine ruhige Platzfront
Von
Prof. Hans Joachim Neidhardt
Der
Diskurs um einen modernen Baukörper auf dem Grundriss des Renaissance-Gewandhauses
ist erneut aufgeflackert. Herr Prof. Glaser benutzt die Idee eines
Friedensmuseums in den Souterrain-Räumen des alten Gewandhauses, um
erneut sein Projekt eines modernen, dreistöckigen Solitärs gegenüber
der Frauenkirche ins Gespräch zu bringen (SZ vom 10.Mai).
Die Diskussion darüber wurde bereits 2007 geführt und mit überzeugenden
Argumenten zugunsten der Nichtwiederbebauung der Gewandhausfläche
– zunächst für ein Jahrzehnt – im Stadtrat entschieden. Warum sollte
man auch die seit 220 Jahren bestehende Weite und Großzügigkeit des
von der Frauenkirche beherrschten Platzes zugunsten mittelalterlicher
Kleinteiligkeit und Blickbeschränkungen wieder aufgeben?
Bereits vor dem Abriss des Gewandhauses schlug der Königliche Oberlandbaumeister
Julius Heinrich Schwarze 1761 in einem Schreiben zum „General-Plan“
des Neumarktes dem König vor, das alte Gewandhaus abzureißen und an
anderer Stelle neu zu errichten, „da selbiges wegen seines Vorliegens
dem Neu-Markt-Platze großen Übelstand verursacht ... Durch diese Verlegung
würde der Raum des jetzigen Gewandhauses zu Vergrößerung besagten
Neu-Markt-Platzes angewendet werden können“. Grund für die neuen Überlegungen
Schwarzes zur Platzgestaltung war zweifellos die 1743 fertiggestellte
Frauenkirche, die mit ihrer Größe und Mächtigkeit nach Südwesten größeren
Wirkungsraum und eine ruhige Platzfront benötigte. Dennoch hat es
bis gegen 1800 immer wieder Entwurfsideen zu einer Wiederbebauung
der Gewandhausfläche gegeben, die aber nie realisiert wurden. Glasers
Schlussfolgerung, dass somit der Platz bis 1945 eine aufgeweitete,
zerrissene, städtebaulich ungenügende Anlage gewesen sei, ist allerdings
falsch. Vielmehr wurde die nun freigelegte Brandmauer zum abgetragenen
Gewandhaus durch eine schlichte, aber schöne Fassade neu gestaltet
und erhielt seine Nobilitierung durch Gottfried Semper, der hier 1843
für den Hofjuwelier Moritz Elimeyer eine reizvolle Schaufensterfront
entwarf. An eine Wiederbebauung der Fläche dachte im prosperierenden
19. Jahrhundert mit seinem gründerzeitlichen Bauboom niemand.
Einige Architekten, Denkmalpfleger, Baubehördenbeamte und Kommunalpolitiker
haben bis heute nicht begriffen, worum es am Neumarkt geht: Die unvorstellbare
Einmaligkeit der großflächigen Auslöschung des historischen Zentrums
von Dresden erforderte eine ebenso singuläre Entscheidung für seine
historische Rekonstruktion.
ein
Foto (H. J. Neidhardt)
Der Neumarkt erhält ohne Baulücke bessere Proportion
Von Bürgermeister für Stadtentwicklung a.D. Herbert
Feßenmayr
Die
Bebauung des Neumarktes ist weit vorangekommen. Jetzt droht durch
vorschnelle Beschlüsse ein Stop der Fertigstellung des Gesamtwerkes,
indem eine wichtige Stelle, der Ort des ehemaligen Gewandhauses, baulich
eventuell nicht mehr besetzt wird.
Ich warne vor diesem städtebaulichen Unverstand. Es muss gebaut werden;
dabei ist es völlig zweitrangig, ob der Wettbewerbsentwurf für diesen
Ort zu ändern ist. Oft genug gelingen zweite und dritte Entwürfe viel
besser.
Um ein Vielfaches bedeutsamer aber sind die städtebaulichen Fragen
nach den richtigen Raumproportionen und der Gliederung des öffentlichen
Raumes. Nach meiner festen Überzeugung gelingt die Wiederherstellung
dieser einmaligen, alleinstellenden, unvergleichlich schön und richtig
proportionierten Räume nur mit einem Gebäude: Der Jüdenhof wäre anders
nicht erkennbar, der Platz vor dem Hotel Stadt Rom entstünde gar nicht
und die Gestaltung des Weges sowie die Vergrößerung des Abstandes
vom überaus riesigen Kulturpalast zum Neumarkt würde überaus problematisch.
Das jetzt herbeigeredete Freilassen des Grundstückes wird zur Bagatellisierung
des Neumarktes führen: In einer Stadt mit vielen zu großen Räumen
würde auch hier beliebige Leere für eine zu lange Zeit festgeschrieben.
Die überregionalen Kommentare zum Neumarkt stellen die bis jetzt entstandene
Qualität der öffentlichen Räume immer als positiv heraus – bei aller
Kritik an einzelnen Fassaden oder den Bauweisen von Investoren. Das
alles aufgeben wegen fachfremder Argumente oder weil man den Blick
aus der zweiten Reihe auf die Frauenkirche möchte?
Es wird leider auch heute noch mit unlauteren Methoden gegen ein sinnvolles
Bauwerk gekämpft: Die Darstellungen der Gegner dieser Bebauung zeigen
einen schaurigen Klotz mit Streifen als „Platzhalter“. Damit werden
fehlende städtebauliche Argumente sichtbar. Ausschließlich Detailversessenheit
– auch eine kunsthistorische – in Bezug auf die Gestaltung von Fassaden
trübt fast immer den Blick auf das Wesentliche. Chancen für neue,
der städtischen Gesellschaft förderliche Nutzungen werden ohne Bebauung
völlig vertan.
Eine Stadt lebt nun mal nicht nur von Kommerz und Hotels. Ich finde,
der Neumarkt hat statt des fortdauernden Beharrens auf Emotionen ein
intensiveres und professionelles Nachdenken über die herausragende
städtebauliche und geschichtliche Bedeutung dieses Grundstücks verdient.
ein
Foto (H.
Feßenmayr)
Hier schreiben Leser zum Neumarkt
Zu
„Auf ein Wort: Endlich können die Dresdner mitreden“, 29./30. Mai:
Viereckigen Einheitsbrei gibt es überall
Dieser Beitrag ruft meinen Protest hervor. Wie sähe denn das Bild
des Dresdner Neumarktes aus, wenn es nicht die Gesellschaft historischer
Neumarkt geben würde? Wahrscheinlich würden dem Autor die viereckigen
Gebäude, wie überall, besser gefallen. Potsdam und Frankfurt haben
Dresden als Vorreiter für die Innenstädte genommen und sind jetzt
schon weiter. Und warum? Weil in diesen Städten die Politik dahintersteht!
Nicht wie in Dresden, wo die zugereisten Baubürgermeister das Ziel
haben, hier alles zu verschandeln, siehe Postplatz.
Vielleicht fährt der Autor auch mal in das europäische Ausland wie
Polen oder Italien. Überall wird dort, wie von ihm bemängelt, rekonstruiert,
auch wenn die Bauten schon vor 200 Jahren standen!
Christian Bloch, per E-Mail
Eine Glasfassade wäre eine interessante Variante
Das moderne Gewandhaus passt so nicht hin, aber eine Glasfassade,
die durchsichtig ist und gleichzeitig Spiegelungen der gegenüberliegenden
Gebäude ermöglicht, wäre interessant. Wer keine Bebauung wünscht,
sollte mal über den denkmalschützerischen Wert der Gewölbe nachdenken.
Vielleicht wäre hier eine Nutzung mit Gaststätten oder kleinen Weinstuben
möglich? Zur Auflockerung können Bäume und Bänke beitragen, damit
nicht wieder erst ein Klo herhalten muss.
Lothar Hanack, Dresden
Die geplante Umfrage war längst überfällig
Es ist unbedingt zu begrüßen, dass wir als Bewohner Dresdens direkt
in die Gestaltung unserer Heimatstadt einbezogen werden. Die geplante
Umfrage zum Neumarkt war überfällig. Allerdings darf es nicht bei
einem „Alibiakt“ bleiben. Entscheidend ist es, ob die Meinung des
Volkes auch gehört und praktisch umgesetzt wird. Sollte dort eine
parkähnliche Grünfläche mit Sitzbänken geschaffen werden, kann ich
mir einen öfteren Besuch des Neumarktes gut vorstellen.Lutz Werner,
Dresden
Dresden darf nicht weiter vergewaltigt werden
Liebe Dresdner und Freunde Dresdens, lasst es nicht zu, dass Dresden
weiter so vergewaltigt wird wie bisher (Postplatz, Neumarkt-Lampe,
neues Hotel und so weiter). Es soll und darf wahrscheinlich nicht
sein, dass Dresden eine der schönsten Städte Deutschlands ist und
bleiben soll. Eine ganz bestimmte Gruppe von Entscheidungsträgern
ist fachlich nicht in der Lage, die Gestaltung Dresdens kulturell,
architektonisch schön und menschenfreundlich durchzuführen. Die Bilder
in der SZ vom 29./30. Mai 2010 beweisen das eindeutig.
Wolfgang Sachse, Dresden
Die
Gesellschaft Neumarkt leistet eine tolle Arbeit
Ich bin sehr verwundert über die Aussagen Ihrer Zeitung über die Gesellschaft
historischer Neumarkt. Ich gehe sehr oft in den Pavillon und bin immer
wieder erstaunt über die tolle Arbeit mit viel Engagement, auch der
vielen Ehrenamtlichen. Wünschen Sie sich denn lauter Quadrate neben
der tollen Frauenkirche; oder was ist Ihr Ziel? Manche Stadt wünschte
sich so eine liebevolle Reko ihres Zentrums. Da wird mit einer Akribie
bei Ihnen das sächsische Wort gepflegt, aber hier versagen wohl Ihre
Heimatgefühle für eine lohnenswerte Stadt. Peinlich, peinlich!
Robert Wissinger, per E-Mail
Touristen kommen nicht wegen moderner Bauten
Der Autor wirft den Mitgliedern der Gesellschaft Historischer Neumarkt
vor, dass sie glauben, alles besser zu wissen. Es wäre für seine journalistische
Tätigkeit auch von Wichtigkeit, würde er an den öffentlichen Foren
der Gesellschaft teilnehmen und die Meinungen der Städte in den anderen
Bundesländern anhören, zum Beispiel Frankfurt/Main, Potsdam und andere.
Sie haben sich alle Dresden als positives Beispiel erwählt, wie sie
ihre Städte lebenswerter machen. Die Gäste kommen nicht wegen der
modernen Bauten auf dem Altmarkt, Postplatz oder Prager Straße, sondern
wegen der liebevoll wiedererbauten alten Häuser mit ihren urigen Gaststätten
und Geschäften. Es ist blamabel, dass immer wieder die SZ die negativen
Meinungen einiger Zugereister in bestimmten Positionen der Stadt aufgreift.
Das trifft auch auf andere Streitpunkte zu. Wo bleibt die Sachlichkeit
der Presse?
Herbert Wunderwald, per E-Mail
Befragungen statt Entscheidungen
Wie oft sollen denn noch die Dresdner Entscheidungen treffen, vor
denen sich die Stadtregierung drückt? Leider hat Dresden doch mit
„Volkeswille“ keine guten Erfahrungen gemacht – siehe Stella-Projekt,
Neues Gewandhaus, Waldschlößchenbrücke und anderes. Vermutlich wird
die Befragung zum Neumarkt folgendes Ergebnis bringen: Das Dynamo-Stadion
an den freien Platz versetzen und zwar mit einer barocken Verkleidung.
Dr. K.-H. Scheunemann, Dresden
Dem Wiegen der Bäume auf einer Bank zusehen
Die Dresdner würden sich gewiss gern mit dem Neumarkt identifizieren.
Dafür braucht es auch nicht viel. Statt noch mehr Stein sollten sich
auf diesem Platz Bäume im Winde wiegen, Blumen die Augen und das Herz
erfreuen und Bänke zum Verweilen und Kontakte knüpfen einladen.
Sabine Baumgarten, Dresden
Leserbriefe geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion wieder.
Sie sind die persönliche Meinung der Schreiber. Meinungen bitte an:
sz.dresden@dd-v.de. Wir behalten uns das Recht auf sinnwahrende Kürzung
vor.
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