Dienstag, 22. Februar 2011
(Sächsische Zeitung)

Tanz an der Fassade

Von Peter Ufer

Fünfach tanzt Gret Palucca über die Fassade. Drei Etagen hoch bis unter die Dachrinne. Die Dresdner Architektin Heike Böttcher wollte es so. Mit der Idee gewann sie gemeinsam mit dem Architekten Michael Dähne den Fassadenwettbewerb für das alte, neue Kanzleigässchen zwischen Schlosshotel und Kanzleihaus gegenüber dem Residenzschloss.

Palucca auf dem Sprung

Dort werden noch in diesem Jahr Fotos von Dresdens berühmtester Tänzerin in Beton gegossen. Heike Böttcher ließ die Bilder mithilfe von Gummi-Matrizen im Betonwerk Coswig prägen. So wird die Palucca in der Struktur der Fassade vor allem von der Seite sichtbar, verfolgt den Betrachter beim Laufen. Wer dagegen frontal auf die Fassade sieht, wird kaum etwas erkennen. Dazu ist das Gässchen auch viel zu schmal.

Die Fassadenbilder zeigen Gret Palucca auf dem Sprung, so wie sie der Fotograf Hans Robertson 1930 sah. Robertson, geboren 1883 in Hamburg, war in den 1930er-Jahren einer der renommiertesten Porträtisten Berlins. Vor allem von Schriftstellern, Künstlern und Politikern wie Käthe Kollwitz, Heinrich Mann oder Gustav Stresemann. Besonders bekannt wurde er durch seine Aufnahmen moderner Tänzer und Tänzerinnen wie Harald Kreutzberg, Vera Skoronel und Mary Wigman sowie Gret Palucca. Lange recherchierten die Architekten nach diesen Bildern, denn zum einen sollten sie prägend für die tänzerische Bewegung sein, zum anderen mussten sich die Baukosten in Grenzen halten. Letztlich fündig wurden sie in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen, die bei der Vergabe der Rechte half. 1000 Euro pro Quadratmeter kostet die Kunstfassade jetzt. Für den Bauträger Baywobau Dresden offensichtlich erträglich.

Heike Böttcher freut sich, dass sie auf diese Weise Gret Palucca ehren kann. Schließlich prägte die Gründerin der Tanzschule Generationen von Tänzern. Erst kürzlich bedauerte Hanne Wandtke, 1993 und 1994 Direktorin und später Prorektorin der Palucca Schule, dass das Erbe der Tanzpädagogin immer mehr verloren gehe. Ihr einzigartiger Stil werde nicht mehr gelehrt, weil der internationale Einfluss auf die Tanzschule den Ursprung ignoriere. Nicht zuletzt die Zerstörung des Sommerhauses von Gret Palucca auf Hiddensee sei ein tragisches Beispiel dafür, dass die große Tänzerin immer mehr in Vergessenheit gerate. Dass jetzt Palucca-Bilder an die Fassade kämen, wäre einerseits schön, aber andererseits typisch, denn in dem Kanzleigässchen seien die Bilder abseits und kaum zu erkennen.

Bis zu ihrem Tod 1993 lebte die 1902 in München geborene Künstlerin in Dresden. Auf der Tiergartenstraße bewohnte sie eine Villa. Im Jahr 1925 gründete sie in der Stadt ihre eigene Schule. Die Palucca Schule unterschied sich maßgeblich von anderen Schulen ihrer Art. Nicht der körperliche Drill stand im Vordergrund, sondern die geistig-künstlerische Erziehung.

Für Heike Böttcher, die sich bisher nie mit Tanz befasst hat, war die Begegnung mit Palucca eine besondere. Böttcher sagt: "Zunächst wollten wir Fotos von Tanzschülern auf die Fassade bringen, aber als wir die Paluccabilder entdeckten war klar, dass es diese sein mussten." Diese künstlerische Fassadengestaltung gehörte bisher nicht zum Programm des Architekturbüros, sondern bedeutet eine Neuentwicklung. "Wir hoffen, dass wir diese Idee noch nachnutzen können", sagt Böttcher, die beispielsweise die Wohnanlage im Hechtviertel auf der Kiefernstraße entwarf sowie den Anbau für das Landgericht auf der Lothringer Straße und die Sanierung der Kunsthofpassage in der Neustadt. Zurzeit arbeitet sie an einem neuen Wohngebiet mit Einfamilienhäusern Am Kuffenhaus in Radebeul.

Palucca wirbt für Großprojekt

Die Palucca-Fassade gehört zu dem Großprojekt an der Schloßstraße. Bis zum Frühjahr 2012 baut die Baywobau Dresden dort ein Appartementhaus, Wohnungen und ein Fünf-Sterne-Hotel mit 235 Zimmern und Suiten. Es entstehen auch die kurfürstliche Schmiede mit 23 Appartements und direkt am Stallhof die Wohnresidenz Löwenhof mit Zwei- bis Fünfzimmerwohnungen zwischen 75 und 200 Quadratmetern Größe. Alle drei Projekte auf einer 5700 Quadratmeter großen Fläche kosten fast hundert Millionen Euro.

drei Fotos

 

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