Dresden, 01. Dezember 2012

Zum Aufsatz von Prof. Peter Kulka in der Sächsischen Zeitung vom 28. November 2012 und der Festschrift "100 Jahre Staatsschauspiel Dresden" unter dem Titel: "Keine Angst vor der Moderne"

Wer im Glashaus sitzt...

Wieder einmal steht der Dresdner Neumarkt durch Prof. Peter Kulka in der Kritik – dieses inzwischen national und international mit Aufmerksamkeit und Anerkennung bedachte Projekt. Sicherlich kann man einiges an der Rekonstruktion am Neumarkt kritisieren. Im Großen und Ganzen bleibt er aber eine der Erfolgsgeschichten der letzten Jahrzehnte für unsere Stadt. Denn langsam findet diese Stadt wieder zu sich selbst. Peter Kulka schließt seinen Aufsatz mit den Worten: „Machen wir uns „frei“, damit wir neu sehen und denken können.“

Solche Worte wecken bei mir schlechte Erinnerungen. Es war kein geringerer als der ehemalige Dresdner Oberbürgermeister Walter Weidauer (KPD/SED), welcher sich ebenfalls mit ähnlichen Worten vor nunmehr über 66 Jahren schon einmal „frei gemacht hat“. Er bescherte damit den Dresdnern diesen Alptraum, den auch Peter Kulka in den 1950er Jahren bei seinem Besuch im Schauspielhaus schildert: Freigeräumte Flächen, wo früher urbane Platz- und Straßensituationen herrschten. Sicherlich gab es in Dresden vor der Zerstörung auch Ecken, welche hochproblematisch vom Standpunkt der Hygiene und der Belichtung aus waren. Aber niemals wäre dafür ein Komplettabriss notwendig gewesen. Auch hätte vieles von dem, was nach dem 13. Februar 1945 schwer zerstört war, gerettet werden können. Nachdem Dr. Rudolf Friedrich (SPD), der 1. Oberbürgermeister Dresdens und spätere Ministerpräsident Sachsens, noch im Juli 1945 über die sowjetische Militärkommandantur den Wiederaufbau des Dresdner Zwingers erreichen konnte, hatte Dr.-Ing. Herbert Conert (CDU), der 1. Stadtbaurat nach dem Krieg, Ende 1945 für den gesamten Wiederaufbau Dresdens die Richtung vorgegeben: „Es kann selbstverständlich nicht unsere Aufgabe sein, das alte Dresden im alten Umfange und in der alten Architektur, wie es war, wieder herzustellen. Aber man muss die Forderung aufstellen: Wahrung der barocken Haltung im Stadtinneren des Maßstabes in diesen Straßen- und Platzräumen, der durch die Baudenkmäler gegebenen Grundlinie. So sehr eine wohlerwogene Beachtung moderner Entwicklungen wie der Bauhausrichtung, die Zulassung von Bauten wie auch der Großsiedlung der Gewobag in der Aachener Straße möglich und notwendig war, so wenig passen Turmbauten und Hochhäuser in Gruppen zusammengefasst in die innere Stadt. Wir können hier die Bauten, die die Silhouette der Stadt ausmachten, bis auf die Frauenkirche wiederherstellen.(...) Wir werden also den Zwinger, die Hofkirche, einen großen Teil des Schlosses und andere Bauten wieder herstellen können. Wir werden an der Rampischen Straße und Großen Meißner Straße einige der schönsten Bürgerhäuser wieder instand setzen können, wir werden diese Straßen im übrigen in der alten Haltung ergänzen können. Die Vorarbeiten hierzu sind im Gange.“ Davon verabschiedete man sich spätestens nach dem Tod von Conert im Sommer 1946.

Walter Weidauer hatte andere Pläne. Er wollte Dresdens Innenstadt zur Gartenstadt machen. Da kamen ihm die Gedanken von Rudolf Neubert, der damalige wissenschaftliche Direktor des Hygienemuseums Dresden, entgegen: „Wenn wir Dresden aus den Trümmern wieder aufbauen wollen, so müssen wir uns zunächst einmal ganz frei machen vom Gewesenen und müssen einen neuen Plan aufstellen, der von den Notwendigkeiten der Menschen, besonders der arbeitenden Menschen im 20. Jahrhundert ausgeht. Nun ist sowohl dieses alte, schöne Dresden des fürstlichen Barock verwüstet als auch der innere Kern der kapitalistischen Entwicklung, die Johannstadt, die Seevorstadt, die Gegend um den Hauptbahnhof, die Annenkirche. Das erste können wir nicht wiederherstellen, das zweite wollen wir nicht.“
Letztlich wurde gegen den Willen der Mehrheit der Dresdner der Abriss betrieben, der noch heute zu einem Phantomschmerz führt. Aus den freigeräumten Flächen sind nie wieder urbane Stadtsituationen entstanden. In den 1970er Jahren der DDR wurde dieses Defizit auch von den damalig verantwortlichen Politikern erkannt und man hat den Neumarkt als Gebiet für eine „Wiederherstellung“ empfohlen. Dresdner Architekten und Architektinnen waren es die erste Vorschläge für eine Rekonstruktion des Neumarktes vorlegten. Später wurden diese dann immer wieder in Zusammenarbeit mit der Dresdner Denkmalpflege und der Architektenkammer Sachsen im Auftrag des Stadtplanungsamtes der Stadt Dresden präzisiert. Es ist das Verdienst der Bürgerschaft Dresdens, diesem Projekt die notwendige Durchsetzungskraft gegeben zu haben. Nicht zuletzt das von der Gesellschaft Historischer Neumarkt 2002 durchgeführte Bürgerbegehren mit über 63.338 Unterzeichnern hat gezeigt, wie tief verwurzelt der Wunsch der Dresdner nach Heilung ist.

Inzwischen sind zahlreiche Städte in Deutschland dem Dresdner Beispiel gefolgt. So auch in Potsdam. Dort wird das Stadtschloss von Friedrich II. und in den nächsten Jahren auch ein Stück Altstadt wiederaufgebaut. Prof. Peter Kulka ist auch dabei und baut als Architekt das Stadtschloss in Potsdam. Es wird allerdings nicht mehr das königliche Schloss mit seiner reichen Ausstattung, den königlichen Gemächern, sondern ein Parlament für das Bundesland Brandenburg. Der Bau wird gestreckt, gedrückt und gezogen, damit auch alle neuen Funktionen Platz haben. Trotzdem sind die Potsdamer stolz und froh es wieder in IHRER Mitte Potsdams stehen zu haben.

Aus der bekannten Haltung von Peter Kulka ist es aber umso verwunderlicher, dass er diesen Auftrag angenommen hat, der doch so grundlegend seiner Auffassung widerspricht: „Ich halte nichts vom Fassadenkult.“. Hier wird mit zweierlei Maß im Hinblick auf den Dresdner Neumarkt gemessen. Auch der neue Potsdamer Landtag wird nur „Fassadenkult“ sein und – noch schlimmer – nach dem „Passend machen“ nicht einmal annähernd den denkmalpflegerischen Richtlinien, welche man an eine solche Rekonstruktion mindestens stellen muss, entsprechen. Was hat ihn bewegt seine Grundsätze zu verlassen? Peter Kulka kommt leider, auch in dem von der SZ veröffentlichten Aufsatz, nicht darüber hinaus, eine Bestandsanalyse zu betreiben. Er bleibt uns die Antwort schuldig, warum die Moderne es nicht schafft, in unserer Zeit, außer einzelnen Solitären, qualitätvolle, architektonisch wertvolle Stadträume und Plätze zu schaffen. Mit seiner Antwort könnte er sich vielleicht selbst die „Angst“ oder besser die Abneigung gegen eine bestimmte Art von moderner Architektur erklären.

Torsten Kulke
Geschäftsführender Vorstand
Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V.

 


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