Sächsische Zeitung, 27, März 2012


Stoppt die Stadt den Neumarkt?

Von Bettina Klemm

Für das Grundstück vor dem Johanneum planen Investoren seit Jahren. Doch jetzt soll ein anderer Bauherr den Zuschlag bekommen. Nun droht Streit.

Jost Hegemann, Chef des Bauunternehmens Kondor Wessels Invest, ist enttäuscht. Seit vielen Jahren plant er für das Gewandhausgrundstück am Neumarkt. Er will die nötigen Bauflächen von der Stadt kaufen und hat dafür ein Angebot abgegeben. Doch jetzt teilt das Liegenschaftsamt mit, dass es "vertiefende Gespräche und Vertragsverhandlungen mit einem anderen Bieter" aufnehmen werde. Die Firma USD soll ein höheres Angebot abgegeben haben. Das letzte Wort hat der Stadtrat. Stimmt dieser zu, wird das gesamte Projekt für Jahre stocken, befürchtet Grünen-Stadtrat Thomas Löser.

Der Streitfall: Kleine Innenhöfe oder modernes Wohnen

Nachdem der Stadtrat vor gut zwei Jahren entschieden hat, dass vor dem Johanneum kein neues Gewandhaus entstehen soll, hat Kondor Wessels den Schwerpunkt auf den Wohnungsbau gelegt. Das ist übrigens eine Forderung der Stadt und der Dresdner, denn so soll mehr Leben auf dem Platz garantiert werden. Die Fassade zum Neumarkt wird nach historischem Vorbild errichtet. Läden sollten nur in die Erdgeschosszonen, im Ausnahmefall in das erste Stockwerk. So würden 84 Prozent der Flächen für Wohnungen zur Verfügung stehen. Damit diese aber auch ausreichend Licht haben, sollte auf die sieben historischen Innenhöfe im Areal verzichtet werden, nur drei sollten entstehen. Projektentwickler Arturo Prisco ist jahrelang durch halb Europa gereist, um hochwertige Laden-Mieter zu finden. "Das ganze Neumarkt-Projekt geht nicht auf, wenn wir es zulassen, dass der wichtigste Platz in der Stadt beliebig wird", sagt er.

Diese Pläne hat die Investorengruppe Kondor Wessels und Günter Blobel mehrmals im Ausschuss für Stadtentwicklung vorgestellt. "Wir haben es uns nicht leicht gemacht, aber im Ausschuss zweimal mehrheitlich das Projekt bestätigt, auch mit den Stimmen der CDU", sagt Thomas Löser. Auch die stets kritische Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden bescheinigt: "Der bisherige Bieter, Kondor Wessels, plant eine hochwertige Wohnnutzung sowie die Rekonstruktion sämtlicher relevanter historischer Fassaden und teilweise auch Gebäudegrundrisse an Jüdenhof, Neumarkt und an der Frauenstraße. Sie hatten damit sowohl den Wünschen der Dresdner Bürger, dem Bauausschuss des Stadtrates als auch dem städtebaulich-gestalterischen Konzept entsprochen", sagt Vize-Chef Torsten Kulke. Die USD-Pläne sollen mehr Läden und weniger Wohnungen vorsehen.

Der Preis: Wird jeder Meter bebaut, gibt es mehr Geld

Entsprechend der Zusagen vom Bauausschuss haben Kondor Wessels und Blobel ihre Gebote abgegeben. Nun schreibt das Liegenschaftsamt, das Mindestgebot sei nicht erreicht. Die Stadt hofft auf einen höheren Gewinn, denn wenn auch im Innenhof jeder Zentimeter bebaut wird, ist mit einem höheren Grundstückspreis zu rechnen. Dabei scheint das Liegenschaftsamt wenig die Arbeit des Bauausschusses zu interessieren.

Die Grundstücke: Die Investoren verkaufen nicht

Bei dem sogenannten Gewandhausquartier handelt es sich um zahlreiche Einzelflächen. Eine davon, unmittelbar an der Frauenstraße, hat Nobelpreisträger Günter Blobel von jüdischen Alteigentümern gekauft. Ursprünglich wollte er so den Bau eines modernen Gewandhauses verhindern. Inzwischen jedoch hat er Feuer gefangen und gemeinsam mit Kondor Wessels die Bebauung des Grundstücks vorbereitet. "Nach meiner Erkenntnis denkt Herr Blobel nicht daran, sein Grundstück zu verkaufen", sagt Michael Kaiser, sein Planer vor Ort. Auch Kondor Wessels besitzt an der anderen Seite des Grundstücks eine Fläche. "Er wird ebenfalls nicht verkaufen und mit Sicherheit auch jeden bisher für die archäologischen Grabungen, für den Wettbewerb und die Planungen eingesetzten Cent zurückfordern", kündigt sein Projektentwickler Arturo Prisco an.

Die Folgen: Der Neumarkt bleibt lange unvollendet

Im Falle einer – zu erwartenden – Nichteinigung zwischen dem neuen Bieter und den Grundstückseigentümern Kondor Wessels und Blobel, droht eine jahrelange Bauverschleppung, warnt Torsten Kulke. Er fordert Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann auf, die Kriterien öffentlich darzulegen. "Der Verkaufspreis darf nicht das alleinige Kriterium sein."

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KOMMENTAR


Der Neumarkt darf nicht beliebig sein

Bettina Klemm

über den künftigen Neumarkt

 

Mit der Eröffnung des Steak-Restaurants Maredo war am Neumarkt der Bann gebrochen. Bald gibt es nun an jeder Ecke einen Emil Reimann. Es fehlt nur noch ein McDonald's. Dresden hat die Messlatte für den Platz rund um die Frauenkirche hochgelegt. Hier sollten nicht nur die einstigen Stadtquartiere und prägenden Fassaden nach historischem Vorbild entstehen, sondern auch ein edles Ensemble mit exklusivem Flair.

Um Mieter mit derartigen Ansprüchen zu haben, hat Arturo Prisco viele Jahre lang Flächen im Neumarkt-Quartier QF leerstehen lassen oder sie Künstlern gegen eine niedrigere Miete angeboten. Erst jetzt, gut fünf Jahre nach der Eröffnung, ist er fast am Ziel: Edles und Hochwertiges für Dresdner und Touristen anzubieten. Auch für das Gewandhausquartier soll er entsprechende Mieter an der Angel haben.

Die Stadt und der Stadtrat müssen sich nun entscheiden. Was wollen sie am Neumarkt? Dass Dresden mit Investoren nicht pfleglich umgeht, ist hinlänglich bekannt. Das Schielen auf den Verkaufspreis kann aber nur ein Kriterium sein. Wie ernst nimmt die Stadt ihre Forderung nach mehr Wohnen am Neumarkt?





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