Sächsische Zeitung
24. Mai 2007

„Das Gewandhaus wird dem Neumarkt Qualität geben“
Von Petra-Alexandra Buhl

Die Akademie der Künste und Architekten sprechen sich für den Bau der Kunsthalle aus. Das Zögern der Politik werten sie als Wahlkampf.

Architekten und Kunstkenner nehmen nach massiver Kritik am Entwurf des Gewandhauses die Stuttgarter Architekten Peter Cheret und Jelena Bozic in Schutz. „Das Projekt spiegelt den Zeitgeist wider, und das soll es auch. Es wird dem Neumarkt Qualität geben“, sagt Eberhard Pfau, Landesvorsitzender des Bundes der Architekten. Er wirft den Gegnern des Projektes vor, sich nicht auf sachliche Diskussionen einzulassen, weil die Polemik weit mehr Erfolg verspreche. Damit spielt er auf die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND) an, die den Bau der geplanten Kunsthalle von Cheret&Bozic am Neumarkt ablehnt.

Protest beeinflusst Politik

Pfau sagt, er könne das Gefühl der Heimatliebe verstehen, das die Gesellschaft vermittle. Er halte aber die Richtung, in die sie gehe, für gefährlich: „Diese eine Vorstellung davon, wie der Neumarkt aussehen und was für den Bürger richtig sein soll, wird sehr massiv vorgetragen und wirkt in die Politik hinein.“ Unter dem Eindruck dieses Protestes zeigen sich die Stadträte – die 2002 eine Bebauung des Platzes beschlossen – dem Bau des Gewandhauses gegenüber nun mehrheitlich ablehnend. „Ursprünglich sollten am Neumarkt nur ein paar historisierende Leitbauten entstehen. Das ist völlig gekippt. Nun denken alle, man dürfe dort nicht mehr zeitgenössisch bauen,“ so Pfau.

Auch Carlo Weber von der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste unterstützt den Entwurf von Cheret&Bozic. Der Stuttgarter Hochschulprofessor Peter Cheret und seine Frau Jelena Bozic hätten einen guten Ruf. „Da wird nichts runtergerotzt, sondern sehr liebevoll geplant, die beiden bauen handwerklich sehr sauber“, sagt Weber. Der Entwurf sei für Dresden eine Chance, sich als moderne Stadt zu exponieren. „Wir müssen selbstbewusst auch in unserer Zeit bauen, deshalb vertreten wir diesen mutigen Schritt nach vorn.“ Die Barockbauten am Neumarkt seien ebenfalls aus dem Selbstbewusstsein der Zeit entstanden, dafür seien jeweils 10 bis 15 gotische Häuser abgerissen worden. „In Dresden ist die Situation besonders festgefahren, da ist man Neuem gegenüber immer unsicher, aber man sollte mutig sein“, sagt Weber. Auch George Bähr sei beim Bau der Frauenkirche mutig gewesen: „Der hatte davor noch nie eine steinerne Kuppel gebaut, aber die Stadtväter haben ihn damals machen lassen.“

„Dresdner Befindlichkeit“

Vieles an der Dresdner Angst vor Neuem sei der Zerstörung im Februar 1945 geschuldet. „Das ist verständlich. Aber es ist nirgends so problematisch wie in Dresden, das hat mit einer besonderen Dresdner Befindlichkeit zu tun“, sagt Weber. Diese werde von den Kommunalpolitikern aufgenommen und in Politik umgesetzt – auch wenn sie jünger seien, die Zerstörung der Stadt nicht erlebt hätten und nicht in Dresden aufwuchsen. „Politiker richten sich nach Volkes Stimme, da zählen Wahlergebnisse.“

Der Darmstädter Architekturprofessor Werner Durth, der in der Jury saß, die den Entwurf von Cheret&Bozic als Sieger des Gestaltungswettbewerbes kürte, hat schon im Vorfeld heftige Diskussionen erwartet. „Der Neumarkt braucht neues Leben, das erfüllt die Kunsthalle, indem sie einen Anziehungspunkt mit kultureller Nutzung schafft.“ Der Entwurf von Cheret&Bozic sei hochwertige zeitgenössische Architektur und beziehe sich vielfältig auf den Neumarkt. „Altes und Neues begegnen sich dabei auf Augenhöhe, das Gebäude korrespondiert mit dem Johanneum“, so Durth. Er schätze das hohe stadtbürgerliche Engagement in Dresden. Der unglaubliche Erfolg des Wiederaufbaus der Frauenkirche könne aber mit historisierender Investorenarchitektur nicht wiederholt und auf die Umgebung der Kirche übertragen werden.



Versäumt
Kommentar von SZ-Redakteurin Petra-A. Buhl

Die Debatte um den Neubau des Gewandhauses droht der Stadt zu entgleiten. Im Gegensatz zu anderen Städten versäumt es Dresdens Verwaltung regelmäßig, ihre Pläne zu präsentieren und den Bürgern zu erklären. In Dresdens Partnerstadt Hamburg gibt es eine große Ausstellung zu allen Bauvorhaben in der Speicherstadt. Am Neumarkt sucht man dies vergebens, dort gab es bislang nur den Pavillon der Gesellschaft Historischer Neumarkt. Dem Aufschrei bei Bauprojekten aller Art immer hinterherzurennen – wie jetzt in Sachen Gewandhaus –, macht sich schlecht.

Diese Versäumnisse im Rathaus beziehen sich nicht nur auf den Neumarkt, sondern auf die sehr erfolgreiche Entwicklung insgesamt, die Dresden genommen hat. Was spricht gegen einen innerstädtischen Pavillon, der die Nachwende-Projekte erklärt? Er könnte zeigen, dass Dresden trotz aller Tradition und vieler Kriegswunden auch selbstbewusst und modern sein darf – vielleicht sogar gerade deswegen.

 

Hier schreiben die SZ-Leser

Besserwisser sind einfach unerträglich

Wo gibt es so etwas, dass sich ein Erster Preisträger eines renommierten Architekturwettbewerbes für seinen Erfolg verteidigen muss wie vor einem Tribunal? Natürlich in Dresden! Die Diskussionskultur in dieser Stadt ist keinesfalls nur auf der politischen Ebene im Keller, wie die Veranstaltung der Gesellschaft Historischer Neumarkt zum Thema Gewandhaus auf peinlichste Art und Weise zeigte. Manche Bürger dieser Stadt sollten sich in ihrem besserwisserischen Dünkel mal an die eigene Nase fassen. Einfach unerträglich!

Reinhard Decker, per E-Mail



Diskussionen um lächerliche Details

Zunächst, ich bin keineswegs ein Gegner moderner Architektur – auch nicht in Dresden. Doch leider boten bisher „moderne Architekten“ in Dresden wenig Ansprechendes und erst recht wenig, was zum jeweiligen Ort und Umfeld passt, eine der wenigen Ausnahmen ist z.B. die Neue Terrasse.

Um mir tolle, moderne Bauwerke ansehen zu können, muss ich schon in „die Welt“ reisen, auch wenn die Frage des „an den Ort passen“ woanders zugegebenermaßen an Bedeutung verliert. Zum Neumarkt: eine offensichtliche Mehrheit der Einwohner und der Besucher kämpfte jahrelang für einen historischen beziehungsweise wenigstens historisierenden Aufbau des Neumarktes, zumindest was Raumkanten, Traufhöhen, kleinteilige Struktur und Fassaden anbelangt. Dabei war oft Streitpunkt, ob im Einzelnen der Zustand 1945 vor der Zerstörung oder ein älterer und ggf. „originalerer“ aufgebaut werden sollte.

In vielen Streitdiskussionen um manchmal lächerliche Details ist ein nun fast vollständiger Neumarkt herausgekommen, der weitestgehend harmonisch erscheint, alte und neue Fassaden von Einzelhäusern vereint und von den meisten Dresdnern und Touristen als „schöner“ Kompromiss verstanden und angenommen wird .

Siegmar Baumgärtel, 01189 DD



Widerstand zum Schaden der Stadt

Leider wird auch zu diesem Bebauungsplan von Randgruppen in Dresden Widerstand organisiert, aus meiner Sicht sehr zum Schaden der Stadt und auch keineswegs im Mehrheitsinteresse der Dresdner. Diese sind nach meiner Kenntnis und Erfahrung keineswegs gewillt, in historisierenden Kulissen lustzuwandeln. Das „Vorhängen“ solcher Fassaden mag zwar im Einzelfall vertretbar sein, die alleinige „Verwendung“ dieser kulissenhaften Bilder jedoch wirkt aufgesetzt, unecht und rückwärtsgewandt.

Ich halte es für wichtig und richtig, auch am Neumarkt Gebäude in der Architektursprache unserer Zeit zu errichten, erst recht für eine öffentliche kulturelle Nutzung, so wie sie geplant ist. Der Entwurf ist überraschend, aber er gefällt mir gut, ist ansprechend funktional, ohne extrem zu sein.

Dies ist die Chance, den Neumarkt auch für uns Dresdner nicht nur als quasibarocke Anlage, sondern lebendiger und für die Zukunft interessant zu machen. Hier könnte ein Platz nicht nur für Touristen, sondern auch für uns entstehen. Ich wünsche mir, dass der erstplatzierte Entwurf des Wettbewerbes für das Gewandhaus baldmöglichst gebaut wird. Im Barock wurde seiner Zeit gemäß, im Dresdner Barock aber auch zukunftsorientiert gebaut – der neue Entwurf entspricht diesem Geiste!

Beate Schuszter, per E-Mail



Mehr zeitgenössische Architektur

Dass sich die FDP, allen voran Fraktionschef Jan Mücke, in die Reihen der Kritiker des neuen Gewandhauses einreiht, überrascht eigentlich schon nicht mehr. Der ästhetische Feinsinn, am Neumarkt von Provokation zu sprechen, hätte sich eigentlich auch an anderer, nicht weniger prominenter und sensiblerer Stelle der Betonaxt in den Weg stellen müssen. Immerhin bescheinigt die Bundesarchitektenkammer dem Entwurf der Waldschlößchenbrücke, „dramatisch schlecht“ zu sein. Das wunderbare Dresden hätte Volksvertreter verdient, die nach besten Kräften helfen, die vielen noch vorhandenen Kriegswunden mit zeitgenössischer Architektur zu heilen, die vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat.

Christian Esser, 01109 Dresden



Unsere Stadt nicht weiter verschandeln

Der geplante Klotz gegenüber der Frauenkirche ist eine offene Kriegserklärung an die Stadt Dresden, ihre Bürger sowie die Menschen aus aller Welt, die den Wiederaufbau der Kirche bewerkstelligt und unterstützt haben, und die glücklich und stolz über das wiedererstandene barocke Ensemble von Frauenkirche und Neumarkt sind. Mag Kai von Döring arrogant meinen, dieser Neubau werde „Dresden guttun“ und die Architektin Jelena Bozic schon „trunken vor Glück“ sein, wird Dresdner sind zornig, dass auswärtige Architekten, eine unfähige Jury und zugereiste Politiker unsere geliebte Stadt weiter verschandeln wollen. Uta Stötzner 01189 Dresden



Modernes Gebäude nicht verhindern

Werden die „wahren Dresdner“ es zusammen mit den Umfallern im Stadtrat tatsächlich wieder schaffen (nach dem Stella-Projekt), eine Kunsthalle für moderne Kunst in einem modernen Gebäude zu verhindern? Die Argumente der Leute sind zum Teil nur rückwärts gerichtet, aber auch schon ein wenig größenwahnsinnig. Die Gesellschaft Historischer Neumarkt hätte vor 200 Jahren sicher auch den klassizistischen Anbau eines Herren Semper (Galerie Alte Meister) am Rokoko-Zwinger verhindert.

K.-H. Scheunemann, DD/Rockau



Wer ist an solch einem Bau interessiert?

Frauenkirche, Neumarkthäuser – so etwas zieht Touristen an. Wir Dresdner können uns glücklich schätzen. Wer um Himmels Willen ist wieder einmal an einem Barockschreck ausgerechnet an sensibelster Stelle, nämlich vor der Frauenkirche, interessiert? Das wurde und wird ja schon in der Nähe des Zwingers durch die Postplatzgestaltung sowie „Kunsttreppe“ am Landhaus ermöglicht. Auf Versuche solcher Art würde man zum Beispiel in Tübingen oder Bamberg gar nicht erst kommen. Wenn allerdings eine hochrangige Politikerin der Meinung ist, Dresden wird jetzt erst durch das Weltkulturerbe europaweit bekannt, muss man sich freilich nicht über die neueste Idee „Kunstquader“ wundern.Kurt-Dieter Prskawetz, 01307 DD

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SZ, vom Montag, 22. Mai 2007
Den Bürgerwillen erfragen und respektieren

Die Gewandhausentwürfe sind hochgradig provozierend,
meint Thomas Athenstaedt und empfiehlt eine unbebaute Fläche.

Ich empfinde die vorgestellten Entwürfe zu einem neuen Gewandhaus als hochgradig provozierend. Sollte einer davon verwirklicht werden, würde mit einem Schlag das mühsam errungene Gesamtensemble des Platzes zu Grabe getragen. Nicht eine Richtlinie, die uns die Gestaltungssatzung des Neumarktes als auch der gesunde Menschenverstand vorgibt, sehe ich umgesetzt: Kleinteiligkeit, Feingliedrigkeit, eher senkrechte als waagerechte Strukturen, in der Wirkung zurücknehmend, klassische Dachstrukturen (Mansard-/Satteldach). Stattdessen schaue ich auf einen groben Klotz, der in seiner Massivität alle Proportionen sprengt und bewusst auf die Frauenkirche konkurrierend wirkt, keine Fenster, eher waagerechte Lichtschlitze, ein Flachdach, was in keiner Hinsicht mit umliegenden Dachstrukturen korrespondiert, keine Kleinteiligkeit, sondern langweilige schmucklose Funktionsflächen. Dies dürfen wir Dresden – zumindest an dieser Stelle – nicht antun. Dass Vertreter der Dresdner Stadtverwaltung auch noch aktiv an der Prämierung solcher Entwürfe teilhatten, macht mich traurig und wütend. Bitte vergessen Sie nicht, dass Sie nur temporär angestellte oder gewählte Vertreter der 500000 Dresdner und nicht selbst Eigentümer der Fläche sind. Bitte erfragen Sie den Bürgerwillen und respektieren Sie diesen. Zu diesem Thema liegen seit Jahren über 60000 Unterschriften der Dresdner vor. Lassen Sie die Fläche unbebaut. Ich bin mir sicher, dass ich auch nach zehn Jahren einen grobkantigen Gewandhaus-Klotz an dieser sensiblen Stelle nicht lieben werde.






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