Sächsische Zeitung vom 22.12.06

Mit voller Kraft zum Mittelmaß
Rings um die Dresdner Frauenkirche bemühen sich die Architekten um Haltung

von Falk Jaeger

Nach und nach wird der Traum wahr. Die Quartiere um die Frauenkirche wachsen zusammen. "Dresden, wie es einmal war", inflationär gebrauchter Titel von Büchern und Filmen ist wieder im Entstehen. Doch woher das leise Unbehagen? Weshalb will sich die erwartete Atmosphäre nicht einstellen?
Der Vergleich mit den Vorkriegsaufnahmen macht rasch deutlich, woran es den Neubauten fehlt. Sie haben keinen Charakter. Ihnen fehlt die wettergegerbte Haut. Ihnen fehlen die Furchen des Alters im Antlitz, die Unvollkommenheiten und die Spuren des Gebrauchs. Besonders die präsisen Dächer mit den unnatürlich exakten, aber ungenutzten Schornsteinen und milimetergenau gesetzten Gauben können die einstmals lebendige, charmant chaotische Dachlandschaft nicht simulieren. Wie Papierhäuser vom Ausschneidebogen gesellen sich die auch handwerklich enttäuschenden Gebäude zur Frauenkirche. Ob diese Häuser in Würde altern und wenigstens durch Patina dem ersehnten Bild nahe kommen können, ist die große Frage. Und dann wird man sich immer noch über kuriose Details wundern, etwas wenn da einem Rokokohaus der Unterkörper fehlt und es über dem breiten Schlund einer Tiefgarageneinfahrt zu schweben scheint.
Verwundern mag auch die Inkonsequenz der Repliken. Wenn schon akribisch nach alten Fotos und Plänen rekonstruierter Leitbau, dann doch auch im Erdgeschoss, mit dem historischen Sockelzonen und Ladeneinbauten. Stattdessen entstehen Bauten, die den Anschein erwecken, als habe man historischen Häusern mehr oder weniger sensibel moderne Läden eingebaut.
Wenn jemand argumentiert, man könne heutzutage mit modernen Mitteln keine Altstadt bauen, so ist am Neumarkt vielleicht der Beweis erbracht, dass man nicht in der Lage ist, dies mit historischen Bauweisen zu tun.
"Quartier an der Frauenkirche" nannten die flinkesten Investoren ihr Stück neue Altstadt und belegten flugs einen werbeträchtigen Titel, der den Nachbarn natürlich auch zugestanden hätte. "Leitbauten" und "Leitfassaden" reihen sich entlang der Augustusstraße und an der Neumarktfront, zeitgenössische Bauformen durften es an der Töpferstraße und - immerhin - an den Ecken zur Frauenkirche und zur Augustusstraße sein. Bei den Grundrissen hat die Orientierung an den historischen Zuständen freilich ein Ende. Jeweils zwei Häuser sind zu einer Nutzungseinheit zusammengefasst, um ökonomische Raumzuschnitte und Erschließungen zu erhalten.
Lediglich das "Weigelsche Haus" wurde als Einheit errichtet, einschließlich des früheren achteckigen Lichthofes. Dieser Leitbau machte denn auch erhebliche Probleme, denn er stößt rückwärtig weit in den Innenhof vor und beeinträchtigt die Belichtung aller hofseitigen Räume.

Keine uniformierte Ansicht

Während der Architekt und Mitinvestor Kai von Döring die historisierenden Häuser und ein Doppelhaus an der Töpferstraße entwarf, wurden die anderen Gebäude von verschiedenen Architekten gestaltet, um eine uniforme Straßenfront zu vermeiden. Ein eingeschränkter Wettbewerb erbrachte die Vorschläge für die drei in modernen Formen gehaltenen Doppelhäuser.
Das markanteste haben die Dresdner Architekten Wörner + Partner gleich gegenüber der Frauenkirche entworfen, ein Haus mit Lochfassade und einem Überwurf aus rötlichem Muschel-
kalkstein. Das Motiv des "steinernen Mantels" entfernt sich sehr weit vom historischen Vorbild und ersetzt dessen Ausdruck durch einen gleichwertigen "modernen Manierismus".
Das Eckhaus wiederum gibt sich klassisch-zurückhaltend und erregt vor allem durch das gläsern gestafelte Dach Aufmerksamkeit, das im Inneren ganz außergewöhnliche Raumeindrücke bietet. Eberhard Pfau tat sich mit dem Maler Michael Freudenberg zusammen, der die Glastafeln der Fenstergewände hintermalte und eine künstlerische Gestaltung der Ladenfront des Erdgeschosses liefert. Ein Erker war gewünscht, Pfau bietet ihn als gläserne Box mit viel Aus- und Einblick. Er hat sich vor allem des Problems des engen Innenhofs angenommen. Eine Zwischenzone mit raumhohen Glasschiebetüren und Klappläden ergibt einen kleinen Freibereich mit Sichtschutz.
Rhodecan Architekten interpretierten das Thema Altstadthaus mit zwei Fassaden aus Faserzementplatten, mit tief liegenden Fenstern das eine, mit flächenbündigen das andere, und treiben ein exzessives Spiel mit den Dachgauben. Es ist deutlich zu spüren, wie sich die Architekten durch die Vorgaben beengt fühlen. Dennoch gelingt es ihnen, das Ensemble zu bilden, das dem Ziel, dem Neumarkt wieder eine qualitätsvoll stadträumliche Struktur zu geben, nahekommt.
Um das Quartier für Touristen wie für Dresdner attraktiv zu machen und die Nutzungsdichte zu erhöhen, füllte Kai von Döring den Innenhof mit einer glasgedeckten Passage. Hier können sich Geschäfte, Cafés und Restaurants auf drei Geschossen entwickeln. Nicht immer gelingt es, alle Ebenen einer Passage gleichermaßen zu beleben; hier bringt es das Zusammenspiel von Architektur und geschickter Mischung von Nutzungen gehobenen Niveaus. Wenngleich das Design der Passage etwas lustlos und uninspiriert wirkt, entstand eine attraktive Raumfolge mit Blick durch das Glasdach auf die Frauenkirche.

Auf moderne Formen setzen

Die Lehre aus dem nur leidlich gelungenen "Quartier an der Frauenkirche" kann nur sein, beim weiteren Bau der Straßenblöcke um den Neumarkt noch mehr architektonische Qualität einzufordern, auf die vermeintlich geschichtsträchtigen, in Wahrheit Geschichte verleugnenden kulissenhaften Fassadenrepliken zu verzichten und auf kraftvolle zeitgenössische Ausdrucks-
formen zu setzen. Die vermögen durchaus, die Wunde im Stadtkörper zu heilen und der Frauenkirche den angemessenen stadträumlichen Rahmen zu verleihen.