Diskussion um die Altstadt
Dann stünde Stoltze wieder auf dem Hühnermarkt
von WOLFGANG KLÖTZER


FAZ - 14. Oktober 2005 

Die Frankfurter Altstadt zu einem Teil wieder aufbauen, angelehnt an die mittelalterlichen Strukturen engwinkliger Gassen und spitzgiebliger Fachwerkhäuser, vielleicht sogar eine Rekonstruktion? Der geplante Abriß des Technischen Rathauses, des Bauungetüms in Nachbarschaft des gotischen Doms, das auf dem Areal der im Krieg zerstörten Altstadt Anfang der siebziger Jahre errichtet worden ist, eröffnete nach 60 Jahren wieder diese Möglichkeit. Wolfgang Klötzer, ehemaliger Leiter des Stadtarchivs (heute Institut für Stadtgeschichte) und mit der Geschichte Frankfurts wie kaum ein anderer vertraut, legt in dem folgenden Beitrag seine Gedanken zu diesem Thema dar.

Frankfurt am Main ist nicht Rothenburg ob der Tauber und nicht Dinkelsbühl, wo die Geschichte irgendwann stehengeblieben ist. Frankfurt war zu allen Zeiten eine "moderne" Stadt, und jede Generation hat ihre Stadt umgestaltet, den wirtschaftlichen Verhältnissen angepaßt, sonst gäbe es in Frankfurt noch mittelalterliche Patrizierburgen wie in Trier oder Regensburg.

Überdies kannte der Frankfurter kein Zurschaustellen seines Reichtums. Die Bürgerschaft gönnte sich keinen Rathausneubau wie die Augsburger - der Zusammenkauf mehrerer Bürgerhäuser um den "Römer" mußte genügen. Es gab keine patrizischen Prunkbauten, sieht man von dem "Steinernen Haus" der Familie Melem und dem (zerstörten) "Fürsteneck" der Familie Holzhausen und wenigen anderen ab. Dem Frankfurter Kaufmann genügte ein kleines Kontor in der sogenannten "Bobbelage" über seinem Warengewölbe, dem "Steinernen Stock" des feuersicheren Erdgeschosses. So etwa bei den repräsentativsten Fachwerkhäusern Frankfurts, dem "Großen Engel" und dem "Schwarzen Stern" am Römerberg und der "Goldenen Waage" am Dom.

Sie sind wie weit über tausend andere Frankfurter Fachwerkhäuser in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs verbrannt. Aber eben nur bis auf den steinernen Stock. Von diesen - aus rotem Mainsandstein formschön erbaut - hätte nach dem Krieg noch mancher gerettet und zum Wiederaufbau verwendet werden können. Die schönen Arkaden der "Goldenen Waage" haben wenigstens in Götzenhain als Unterbau für eine Privatbibliothek Zweitverwendung gefunden. "Großer Engel" und "Schwarzer Stern" wurden rekonstruiert.

Der rasche Wiederaufbau Frankfurts nach dem Zweiten Weltkrieg hat auf solche "Spolien" keine Rücksicht genommen. Man wollte für die zurückkehrenden Evakuierten schnell ein Dach über dem Kopf, und die boomende Wirtschaft fragte nicht nach Tradition und Denkmalpflege. Aus den schnell abgeräumten Trümmern entstanden in einem am Ostpark eigens errichteten Betonwerk neue Bausteine. Der "Wiederaufbau" der Frankfurter Altstadt setzte sich, namentlich im Kern, über die alten Fluchtlinien hinweg. So konnten rasch die großen Wohnblocks am Mainkai, am Weckmarkt und zwischen Römer und Karmeliterkloster entstehen, in denen es sich - zugegebenermaßen - angenehm wohnen läßt.

Zwischen Dom und Römer wurde ein riesiger, lange Zeit unbebauter Parkplatz zur Spielwiese der Architekten. Selbst als Historiker hatte ich mich mit den Realitäten abgefunden und vorausschauend darauf einen Frankfurter "Markusplatz" - breit geöffnet zum Main - erträumt, war doch die historische Lage Frankfurts "am Main" fast in Vergessenheit geraten. Der Gedanke war bestechend, zumal man vor dem Domturm - überraschend - die karolingische Königspfalz ausgegraben hatte, die einmal über die natürlichen Ufer des Mains hinüber zum Jagdrevier des Reichswaldes, dem heutigen Frankfurter Stadtwald, orientiert war. Aber nun war die Mainfront verbaut, und niemand hätte die ersten Wohnungen der Nachkriegszeit wieder abgerissen.

Aber dem Historiker mußte doch das Herz bluten, als in den siebziger Jahren zwischen Dom und Römer der "Plattenbau" des Historischen Museums und die drei "Elefantenfüße" des Technischen Rathauses entstanden, wozu sich später noch der gegen den Dom gerichtete "Rammbock" der Kunsthalle "Schirn" gesellte. Da war die Rekonstruktion der Ostzeile des Römerbergs (Samstagsberg) in den achtziger Jahren für den herausgeforderten Frankfurter eigentlich nur ein Trostpflaster. Und in den dahinterliegenden Häuserschluchten eine Erinnerung an die Altstadtgäßchen um das Fünffingerplätzchen sehen zu wollen ist auch heute noch äußerst erklärungsbedürftig.

Nun, das ist geschehen, doch sieht man heute ein, daß sich die Stadtplanung damals nicht ausgezeichnet hat: Der häßliche Betonbau des Historischen Museums wird irgendwie verblendet und seine Schroffheit neben der grazilen Nikolaikirche dadurch ästhetisch aufgewertet werden. Das Technische Rathaus wird gar - wie beschlossen - abgerissen.

Dadurch eröffnen sich Spekulationen über neue Möglichkeiten der Stadtgestaltung, die den Historiker nicht unberührt lassen. Daß der alte Königsweg - die Gasse hieß zuletzt "Alter Markt" - zwischen Dom und Römer, auf dem der Kaiser und sein Gefolge nach der Krönung im Dom zum Krönungsmahl im Römer schritten, abgesenkt und dadurch authentischer werden soll, ist ein erfreuliches Vorhaben, wenn es sich denn wegen der darunter befindlichen Tiefgarage verwirklichen läßt. Daß die Fundamente der Königspfalz (und früherer römischer Relikte) überbaut werden "könnten", steht außer Zweifel. In Mainz und früher schon in Köln ist man mit archäologischen Ausgrabungen ähnlich verfahren.

Verständlicherweise werden nun auch Stimmen laut, die zwischen Dom und Römer weitere Rekonstruktionen wie am Samstagsberg fordern. So schön und so verständlich der Gedanke ist, muß man allerdings bedenken, daß der Altstadtkern schon zwischen den Weltkriegen in seiner Gesamtheit keineswegs erhaltenswert war und schon in den zwanziger Jahren aufgrund der Bemühungen des Frankfurter "Altstadtvaters" Dr. Fried Lübbecke und des Stadtbaumeisters Theodor Derlam eine "Auskernung" der heruntergekommenen Quartiere begonnen hatte. Das "aal Gelerch" war nicht mehr zeitgemäß und lohnte nicht die Sanierung. Die damalige Öffnung zu größeren Höfen und die Begrünung der Altstadt ist heute noch am Hainer Hof hinter dem Dom und - reminiszierend - in den (neuen) Gartenhöfen südlich des Domes sichtbar.

Architektonisch wertvoll waren in der Altstadt immer nur einige und besonders exponierte Bauten. Die schönste Reihe von Fachwerkhäusern stand in der Bendergasse, und die liegt heute unter der Kunsthalle Schirn! Vieles war schon früher verschwunden: Der "Hof Rebstock" mit seinen schönen Galerien, die Lutherherberge "Zum Strauß" und der "Nürnberger Hof" mußten in spätwilhelminischer Zeit für den Durchbruch der Braubachstraße fallen, von der man sich eine Belebung der Altstadt erhoffte.

Natürlich müssen sich die geplanten Neubauten nach dem Abriß des Technischen Rathauses irgendwie rechnen, und da ziehen nostalgische Träume unweigerlich den kürzeren. Aber vielleicht ist es doch möglich, die alten Fluchtlinien, wo möglich, in die Planung einzubeziehen. In etwa die Situation des "Hühnermarktes" (unter dem Technischen Rathaus), wo in seiner Nordwestecke das Haus "Zum Eßlinger" der Goethetante Melber und auf dem Platz das Stoltzedenkmal (heute südlich der Katharinenkirche) standen. Allerdings war die übrige Bausubstanz des Hühnermarktes von geringerer Qualität, so daß man über das Zitat der Platzsituation hinaus von einer Gesamtrekonstruktion wohl absehen muß.

Anders an der Südseite, wo sich der Hühnermarkt zum Alten Markt öffnete. Hier stand an der Ecke zur nach Süden abzweigenden Gasse "Lange Schirn" auf jahrhundertealten Holzsäulen das "Rote Haus" mit seiner Erdgeschoßlaube, dem charakteristischen Verkaufsstand für Fleisch- und Wurstwaren, durch den der Weg in den "Tuchgaden" führte. Hier würde sich der Nachbau eines typischen Altstadthauses lohnen, wenn auch nur als signifikanter Blickfang in der Mitte des "Königsweges", geadelt durch die Erinnerung Tausender Altfrankfurter und vieler Besucher der deutschen Wahl- und Krönungsstadt bis hin zu Victor Hugo, aus dessen Feder eine engagierte Beschreibung der Frankfurter Schirnen stammt.

Gelänge es auch noch, vor dem Domturm die "Goldene Waage" mit ihrer Dachlaube eines "Belvederchens" zu rekonstruieren, dann wäre der bedeutendste Straßenzug der ehemaligen Frankfurter Altstadt eingefangen und gekennzeichnet durch seine wichtigsten Architekturdenkmäler, den"Großen Engel" und das "Steinernen Haus" am Römerberg, die "Goldene Waage" am Dom und dazwischen das "Roten Haus" am Hühnermarkt, auf dem auch Friedrich Stoltze seinen angestammten Platz von 1895 wieder einnehmen könnte.

 

 

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