Offener Brief an die Damen und Herren Neumarkt Dresden - Gewandhaus - Wettbewerb Sehr geehrte Damen und Herren Stadträte, da Sie vor der schwierigen, gleichwohl aber auch bedeutsamen Entscheidung stehen, ob das Grundstück des ehemaligen Gewandhauses am Neumarkt bebaut werden oder frei bleiben soll, erlauben wir uns, die wir maßgeblich am Wiederaufbau der Fraukirche beteiligt waren und ebenso die Prinzipien für den Aufbau des Neumarktes mitformuliert haben, mit einem Offenen Brief an Sie zu wenden. Wir beziehen uns auf die Stellungnahme vom Dezember 1999, die der Vorstand der Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden e.V. (Fördergesellschaft Frauenkirche) zu den Leitlinien des Neumarkt-Wiederaufbaus abgegeben hat, als damals der verfehlte Anbau an das Coselpalais heftige Diskussionen im Stadtrat, in unserer Fördergesellschaft Frauenkirche, in der Gesellschaft Historischer Neumarkt und in der Bevölkerung auslöste. Der Stadtrat hat durch Ratsbeschluss am 20. Juli 2000 diese Stellungnahme dazu bestimmt, dass sie in die weitere Neumarktplanung einbezogen wird. Nach genauer Prüfung der Ergebnisse des Architektenwettbewerbs und nach eingehender interner Diskussion möchten wir die Empfehlung und die Bitte aussprechen zu entscheiden, auf den relativ großen Neubau direkt gegenüber der Frauenkirche zu verzichten und das städtische Grundstück des ehemaligen Gewandhauses unbebaut zu lassen. Nachdem sich nach der Zerstörung 1945 in drei Jahrzehnten der Wiederaufbau des Stadtzentrums mit Ausnahme des Theaterplatzes und der Elbefront gegen den historischen Stadtgrundriss vollzogen hatte, wurde in den 1980er Jahren für den Neumarkt, der als große innerstädtische Brache um die Ruine der Frauenkirche geblieben war, mit mehreren Architektenwettbewerben und einem Städtebausymposium unter Beteiligung von Architekten der Ostblockländer eine Wiederaufbaukonzeption vorbereitet, die im wesentlichen den historischen Grundriss und annähernd die Proportionen der Straßen- und Platzräume wiederherstellen sollte.
Die Ruine der Frauenkirche war als Mahnmal gegen den Krieg gedacht.
Die Häuser sollten mit einem industriellen Fertigteilsystem errichtet
werden, das noch nicht existierte, jedoch als Entwicklungsaufgabe
gesehen wurde. Mit der Bildung einer Bürgerinitiative zum Wiederaufbau der Frauenkirche im Herbst 1989 und mit dem "Ruf aus Dresden - 13. Februar 1990" war auch das städtebauliche Umfeld der Frauenkirche angesprochen. Nunmehr wurde die Chance gesehen, einen der historischen Bürgerplätze Dresdens in seiner Maßstäblichkeit zu rekonstruieren, ihn der weitgehend wiederhergestellten Elbansicht zuzuordnen und ein städtebauliches Kontinuum zum Theaterplatz und zur Brühlschen Terrasse zu schaffen. So ist er auch 1991 in den Entwurf zum Innenstadt-Leitbild aufgenommen worden. Nachfolgend hat eine von der Stadt berufene Arbeitsgruppe von acht Dresdner Architekturbüros mit Unterstützung der Ämter der Stadtverwaltung und des Landesdenkmalamtes den Entwurf einer Gestaltungssatzung erarbeitet und Prinzipien des Wiederaufbaus aufgestellt. Der Empfehlung der Arbeitsgruppe folgend ist von der Stadt eine beratende Gestaltungskommission berufen worden. Es handelt sich beim Neumarkt eindeutig um eine städtebauliche Sonderlösung, die keine exemplarische Bedeutung für die zu großen Teilen noch unfertige Innenstadt hat (Altmarkt, Postplatz, Altstädter Ring, Pirnaischer Platz, Wiener Platz, Seevorstädte Ost und West). In einem Workshop "Atelier 2000" ist das Konzept daraufhin getestet worden, ob die vorgegebenen Planungsprinzipien tragfähig sein könnten. Dies wurde im allgemeinen positiv beantwortet, wenn auch die beiden zu einem Gewandhausneubau eingereichten Arbeiten als unakzeptabel abzulehnen waren. Spätestens
damit war das Problem erkennbar, dass ein großer Neubausolitär anstelle
des 1791 abgerissenen Gewandhauses nicht nur provokativ der Frauenkirche
gegenübersteht, sondern auch die Akzente in der Komposition des Platzes,
der seine Ausformung am Ende des 18. Jahrhunderts im Hinblick auf
die Dominante der Frauenkirche erhalten hat, völlig verschiebt. Der
Neumarkt ist heute nicht vorrangig ein irgendwie zu lösendes architektonisches
oder städtebauliches Problem, sondern ein historischer Ort, ein "Topos",
der durch die Frauenkirche überhaupt entstanden und verständlich ist.
Nach seinem Wiederaufbau erzählt der Kirchenbau nur in diesem ihm
zugewachsenen und angemessenen Umfeld ungestört von seinem Schicksal
und vom Schicksal der Stadt Dresden. Das spürt die Mehrzahl der Einheimischen
wie der Gäste sehr genau. Trotz aller anzuerkennenden Bemühungen der
Wettbewerbsteilnehmer um eine differenzierte Baukörperdurchbildung,
um Sicht- und Blickachsen, um Materialwahl, bleibt für die zeitgenössische
Architekturgestaltung letztlich nur das Mittel des Kontrastes. Unter
Architekten und Städtebauern wird immer wieder die Binsenweisheit
strapaziert, dass heutiger Städtebau von und mit Brüchen lebt. Dies
trifft zweifellos für all die genannten noch offenen Bereiche zu. Es ist geradezu peinlich zu beobachten, wie in den öffentlichen Bürgerdiskussionen der Preisträgerentwurf des Büros Prof. Cheret & Bozik beschimpft wird. Dabei wird verkannt, dass nicht die Architekten die Schuld trifft, sondern den Auslober des Wettbewerbs. Noch im vorigen Jahr hatte in einer öffentlichen Versammlung Prof. Magirius eindringlich vor dem Wettbewerb gewarnt, weil das Ergebnis für den Neumarkt vorauszusehen war. An anderer Stelle der Stadt würde zumindest einer der Preisträgerentwürfe der Stadt Dresden zur Zierde reichen. Unsere Empfehlungen an Sie als die gewählten Vertreter lauten daher zusammengefasst: | |||
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Aufgeben des Vorhabens,
das Grundstück des ehemaligen Gewandhauses bebauen zu wollen.
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Mit freundlichen Grüßen gez. Prof.
Dr. Ludwig Güttler, Musiker gez. Dr. Ing.
Hans-Joachim Jäger, Hochbauingenieur gez. Prof.
Dr. Hans-Joachim Neidhardt, Kunsthistoriker gez. Prof.
Dr. habil. Dr. h. c. Heinrich Magirius, Landeskonservator a. D. gez. Dipl.-Ing.
Dieter Schölzel, Architekt
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