Ein Plädoyer
für die Erhaltung von Kelleranlagen im Bereich des Dresdner Neumarkts Vor der Stadt Dresden stehen schwierige Entscheidungen: Bei der Einweihung der Frauenkirche im Jahre 2005 soll unter dem Neumarkt eine Tiefgarage geschaffen sein. Wenigstens einige der umliegenden Hausquartiere sollen den historischen Straßen- und Platzbegrenzungen entsprechend aufgebaut sein. Dabei ist an die alte Parzellenstruktur anzuknüpfen. Eine größere Anzahl von »Leitbauten« soll rekonstruiert werden. Das sind Häuser, von denen wertvolle Bauteile überliefert sind oder deren historische Zustände durch Pläne gut dokumentiert sind. Den schon gewonnenen Investoren sind die Chancen, die nicht nur für das Stadtbild, sondern auch für den wirtschaftlichen Nutzen in dieser Konzeption liegen, sehr wohl bewusst. Hier wird zu Füssen des wiederhergestellten Monumentalbaus ein Stadtgebiet entstehen, das sich diesem unterordnet, aber von dessen Ruhm in jeder Hinsicht »profitiert«. Nur bei vorsichtiger Zurückhaltung der umgebenden Bebauung ist die städtebauliche Wirkung der Frauenkirche garantiert. Diese Art der Bebauung des Neumarktbereiches ist nicht nur als »Erinnerung« an die verlorene Bürgerstadt Dresden zu verstehen, sondern sie ist schlicht die Konsequenz aus der Tatsache des Wiederaufbaus der Frauenkirche. Dem gegenüber sollen unterschiedliche Auffassungen über das Mehr oder Weniger von »Historisch« und »Modern« etwas in den Hintergrund treten, denn alles, was hier geschieht, geschieht am Anfang des 21. Jahrhunderts und ist ein Bekenntnis unserer Zeit, sollte also mit großem Verantwortungsbewußtsein entschieden werden. Keineswegs unwichtig hingegen ist es, wie viel historische Substanz gerettet und wieder verwendet wird. Dieses Prinzip des »archäologischen Wiederaufbaus« war und ist das Prinzip des Wiederaufbaus der Frauenkirche. Es sollte - gewiss in modifizierter Weise - auch bei der Wiederherstellung der Hausquartiere Beachtung finden. Das heißt, man sollte sorgfältig prüfen, welche der überlieferten Kelleranlagen erhalten und in die Neubauten eingefügt werden können. Das betrifft insbesondere die »Leitbauten«, denn selbstverständlich gehören die Keller nicht zu einer fernen Vorzeit, sondern bilden deren bauliche Sockel. In den bereits untersuchten Quartieren sind folgende Bauten zu »Leitbauten« erklärt: Neumarkt 2, Rampische Straße 1 und 7, An der Frauenkirche 13 und 16. Hier muss auf die Erhaltung und Verwendung der Keller unbedingt bestanden werden, weil sonst die Rekonstruktion der Bauten denkmalpflegerisch nicht verantwortet werden könnte. Wesentliche historische Substanz ist mit diesen Kellern überliefert. Die sich daraus ergebenden konstruktiven Probleme sind den Aussagen von Statikern zufolge lösbar. Aber über diese Fälle hinaus müsste das Problem von allen zuständigen Gremien noch einmal gründlich durchdacht werden. Wir maßen uns nicht an, alle Argumente, die auch gegen die Erhaltung von Kellern sprechen, zu überblicken. Offensichtlich haben die Kelleranlagen zwischen Landhausstraße und An der Frauenkirche mehr durch langes Freistehen und durch Grundwasser als durch die »Flut« sehr gelitten. Hier wären die Keller des Hauses An der Frauenkirche 20 und einzelne Keller der Häuser Landhausstraße 1 und 3 als herausragende Beispiele zu nennen. Neben dem »Weigelschen Haus« besitzt das Eckhaus Neumarkt 3 besonders stabil erscheinende Keller. Da gerade erst erforscht, bietet sich östlich der Frauenkirche eine Hausgruppe zu vollständigen Erhaltung ihrer Keller geradezu an, neben denen der genannten »Leitbauten« die Keller von Rampischer Straße 3 und 5, An der Frauenkirche 14 (Haus zur Glocke), Salzgasse 7 und 8. Was ist an diesen Kellern so bemerkenswert? In jedem Fall reagieren sie grundrisslich auf die Hausanlage selbst, geben Kunde von dem sozialen Status der Erbauer und »erzählen« von den im 16. bis 18. Jahrhundert üblichen Bautechniken und in einigen Fällen vom Brand am 13. Februar 1945. Meist sind es erst nach 1945 eingeschlagene Tonnengewölbe, bestehend aus »Sandsteingrundstücken«, die in den verschiedenen Jahrhunderten unterschiedlich zugerichtet und verbaut worden sind. Kellertüren und Treppenläufe in mannigfacher Ausbildung sind steinerne Urkunden der Geschichte unserer Stadt, die sich anschickt, das Jubiläum ihrer ersten Nennung vor 800 Jahren zu begehen. Auch wenn die genannten Keller wohl alle erst nachmittelalterlich sind, bleiben sie als Zeugen der Monumentalisierung, der »Versteinerung« dieses ehemals vorstädtischen Bereichs im 16. bis 18. Jahrhundert von Bedeutung. Nicht zuletzt interessiert die an der Stadtgeschichte Dresdens Anteilnehmenden die genaue Lage der mittelalterlichen Stadtmauer südwestlich des Neumarktes und die Ausbildung des Frauentores. Hier sollten weitere intensive Forschungen angestellt werden, ehe die Tiefgarage auf dem Neumarkt endgültig projektiert wird. Denn diese Reste der mittelalterlichen Stadtumwehrung dürfen keinesfalls blindlings »geopfert« werden. Es gibt gute Beispiele im internationalen Maßstab, wie solche ergrabenen Reste in Neubauten - auch Tiefgaragen - eingefügt werden können. Schließlich ein Wort zur virtuellen Demonstration von historischen Beständen: Sie sind in unserer Zeit durchaus von Bedeutung als Möglichkeit insbesondere didaktischer Information über das zeitgenössisch Erkannte. Damit wird aber nicht die »Aura«, die Ausstrahlungskraft, auch nur eines einzigen historisch überlieferten Steines ersetzt. Hüten wir uns vor der Überschätzung des Medialen und erhalten wir nach Möglichkeit das Original!
|