Prof. Hans-Joachim Neidhard

Was wir wollen!


Die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden gründete sich im Frühjahr 1999 aus einem Kreis von Dresdner Architekten, Historikern, Denkmalpflegern, Kunsthistorikern, Juristen und anderen engagierten Bürgern, welche überzeugt sind: Die rekonstruierte Frauenkirche und der rekonstruierte Neumarkt gehören zusammen. Daher verstehen wir uns als Partner und notwendig Interessenergänzung der Frauenkirchen-Gesellschaft. Für uns verbindet sich der Gedanke der wiederaufgebauten Frauenkirche mit der zwingenden Vorstellung, daß auch ihr unmittelbares Umfeld in seinem Erscheinungsbild dem alten Neumarkt möglichst nahe kommen sollte.

Mit der Wiederherstellung des Erscheinungsbildes des historischen Neumarktes durch weitgehende Rekonstruktion - (über den einschränkenden Begriff "weitgehend" muß diskutiert werden)- seiner alten Strukturen und Straßenfronten einschließlich seiner Dachlandschaften könnte - und das ist eine einmalige und letzte Chance für diese Stadt - Dresden sein altes historisches Herz als Zentrum der Bürgerstadt zurückgewinnen. Das aber ist umso notwendiger, als der Altmarkt dafür verloren ist und das Dresdner Stadtzentrum ansonsten in großen Maße modern wiederaufgebaut wird. Der Verein will den vielen Dresdner Bürgern und den auswärtigen Freunden unserer Stadt eine Stimme geben, die ein freies Spiel moderner Bauideen zu Füßen der Frauenkirche ablehnen, die besorgt sind, daß sich auch hier der falsche Trend fortsetzt, der mit dem Advantariegel neben dem Zwinger und der gestalterisch schwachen Abschreibungsarchitektur an der Südseite des Altmarktes die falschen Signale für potentielle Bauherren im historischen Zentrum setzt. Zu unserer Bestürzung besteht jetzt die Absicht, die 300 Häser des Neumarktes modern "im Geist unserer Zeit" aufzubauen mit Ausnahme von ganzen 15 rekonstruierten Leitbauten, die in der "schönen neuen Welt" mit sicherlich viel Stahl und Glas verloren, wie museale Relikte wirken würden.


Wir hingegen treten für ein anderes, heute durchaus realisierbares Konzept ein. Wir wollen, daß eine archäologische Rekonstruktion von 70 bis 80 inzwischen durch Pläne, Risse, originale Fundstücke und Fotos gut dokumentierte, kunsthistorisch wertvolle alte Bürgerhäuser das städtbauliche Gesamtbild des alten Neumarktes als eines der schönsten Altstadtkerne Europas wiederhergestellt wird. Und dabei wird es in der Symbiose von alt rekonstruierten und modernen Elementen genug Gestaltungsspielräume auch für behutsam zeitgenössisches Bauen geben. Zweifler und Skeptiker fragen: Wer soll das bezahlen? Wer soll das nutzen? Lassen sich Investoren darauf ein? Wir nehmen solche Fragen ernst, halten sie aber für lösbar und meinen, daß sie zurücktreten müssen hinter der städtbaulichen, kulturpolitischen Jahrhundertentscheidung.


Inzwischen sitzen wir schon zusammen mit Investoren und deren Architekten, die unsere Ideen interessieren, und überlegen gemeinsam Lösungswege, welche auch die Fragen der Nutzung und der Funktionalität einschließen. Die künftigen Bauträger ahnen schon, daß auch für sie auf weite Sicht unser Konzept "Historischer Neumarkt" zukunftsträchtiger sein wird, als kurzatmiges Renditedenken, von der Attraktivität für den Tourismus ganz zu schweigen.
Verspielen wir nicht die einmalige Chance, mit dem Neumarkt ein Stück historischer Identität für die Bürger dieser Stadt; für unsere Kinder und Enkel zurückzugewinnen. Geben wir der neuen, alten Frauenkirche, die auch einen ästhetischen Maßstab setzt, ihr altes Umfeld zurück! Seien wir konsequent! Lassen wir in dem wunderbaren Stadtraum zwischen dem wiedererstandenen Residenzschloß mit dem Stallhof, dem wiedererstandenen Taschenbergpalais, dem wiedererstandenen Kanzleihaus, der Frauenkirche, dem Coselpalais und dem wiedererstehenden Kurländer Palais das historische Flair des Neumarktes wiedererstehen, auf daß sich dieser Stadtraum wieder zu einem ganzen schließt.
Aufregend Modernes zu bauen, ist heute auf vielen Quadratkilometern in Dresden möglich und erwünscht. Nur auf diesem halben Quadratkilometer sollten sich Architekten nicht unbedingt selbst verwirklichen, sondern sich dienend in einen geschichtlich gegebenen Zusammenhang einfügen.


"Die Dresdner haben soviel verloren" - sagte vor wenigen Monaten der bekannte moderne Architekt Günter Behnisch - "da laßt sie doch am Neumarkt ein Stückchen wiederaufbauen!" Wir sind sicher, dass die Dresdner es mehrheitlich so wollen und dass sich - wir vor zehn Jahresn beim Entschluß für den Wiederaufbau der Frauenkirche - der Bürgerwille auch bei der Rekonstruktion ihres historischen Umfeldes durchsetzen wird.

Dresden im Oktober 1999