Die
Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden gründete sich im Frühjahr
1999 aus einem Kreis von Dresdner Architekten, Historikern, Denkmalpflegern,
Kunsthistorikern, Juristen und anderen engagierten Bürgern, welche
überzeugt sind: Die rekonstruierte Frauenkirche und der rekonstruierte
Neumarkt gehören zusammen. Daher verstehen wir uns als Partner
und notwendig Interessenergänzung der Frauenkirchen-Gesellschaft.
Für uns verbindet sich der Gedanke der wiederaufgebauten Frauenkirche
mit der zwingenden Vorstellung, daß auch ihr unmittelbares Umfeld
in seinem Erscheinungsbild dem alten Neumarkt möglichst nahe
kommen sollte.
Mit der Wiederherstellung des Erscheinungsbildes des historischen
Neumarktes durch weitgehende Rekonstruktion - (über den einschränkenden
Begriff "weitgehend" muß diskutiert werden)- seiner
alten Strukturen und Straßenfronten einschließlich seiner
Dachlandschaften könnte - und das ist eine einmalige und letzte
Chance für diese Stadt - Dresden sein altes historisches Herz
als Zentrum der Bürgerstadt zurückgewinnen. Das aber ist
umso notwendiger, als der Altmarkt dafür verloren ist und das
Dresdner Stadtzentrum ansonsten in großen Maße modern
wiederaufgebaut wird. Der Verein will den vielen Dresdner Bürgern
und den auswärtigen Freunden unserer Stadt eine Stimme geben,
die ein freies Spiel moderner Bauideen zu Füßen der Frauenkirche
ablehnen, die besorgt sind, daß sich auch hier der falsche Trend
fortsetzt, der mit dem Advantariegel neben dem Zwinger und der gestalterisch
schwachen Abschreibungsarchitektur an der Südseite des Altmarktes
die falschen Signale für potentielle Bauherren im historischen
Zentrum setzt. Zu unserer Bestürzung besteht jetzt die Absicht,
die 300 Häser des Neumarktes modern "im Geist unserer Zeit"
aufzubauen mit Ausnahme von ganzen 15 rekonstruierten Leitbauten,
die in der "schönen neuen Welt" mit sicherlich viel
Stahl und Glas verloren, wie museale Relikte wirken würden.
Wir hingegen treten für ein anderes, heute durchaus realisierbares
Konzept ein. Wir wollen, daß eine archäologische Rekonstruktion
von 70 bis 80 inzwischen durch Pläne, Risse, originale Fundstücke
und Fotos gut dokumentierte, kunsthistorisch wertvolle alte Bürgerhäuser
das städtbauliche Gesamtbild des alten Neumarktes als eines der
schönsten Altstadtkerne Europas wiederhergestellt wird. Und dabei
wird es in der Symbiose von alt rekonstruierten und modernen Elementen
genug Gestaltungsspielräume auch für behutsam zeitgenössisches
Bauen geben. Zweifler und Skeptiker fragen: Wer soll das bezahlen?
Wer soll das nutzen? Lassen sich Investoren darauf ein? Wir nehmen
solche Fragen ernst, halten sie aber für lösbar und meinen,
daß sie zurücktreten müssen hinter der städtbaulichen,
kulturpolitischen Jahrhundertentscheidung.
Inzwischen sitzen wir schon zusammen mit Investoren und deren Architekten,
die unsere Ideen interessieren, und überlegen gemeinsam Lösungswege,
welche auch die Fragen der Nutzung und der Funktionalität einschließen.
Die künftigen Bauträger ahnen schon, daß auch für
sie auf weite Sicht unser Konzept "Historischer Neumarkt"
zukunftsträchtiger sein wird, als kurzatmiges Renditedenken,
von der Attraktivität für den Tourismus ganz zu schweigen.
Verspielen wir nicht die einmalige Chance, mit dem Neumarkt ein Stück
historischer Identität für die Bürger dieser Stadt;
für unsere Kinder und Enkel zurückzugewinnen. Geben wir
der neuen, alten Frauenkirche, die auch einen ästhetischen Maßstab
setzt, ihr altes Umfeld zurück! Seien wir konsequent! Lassen
wir in dem wunderbaren Stadtraum zwischen dem wiedererstandenen Residenzschloß
mit dem Stallhof, dem wiedererstandenen Taschenbergpalais, dem wiedererstandenen
Kanzleihaus, der Frauenkirche, dem Coselpalais und dem wiedererstehenden
Kurländer Palais das historische Flair des Neumarktes wiedererstehen,
auf daß sich dieser Stadtraum wieder zu einem ganzen schließt.
Aufregend Modernes zu bauen, ist heute auf vielen Quadratkilometern
in Dresden möglich und erwünscht. Nur auf diesem halben
Quadratkilometer sollten sich Architekten nicht unbedingt selbst verwirklichen,
sondern sich dienend in einen geschichtlich gegebenen Zusammenhang
einfügen.
"Die Dresdner haben soviel verloren" - sagte vor wenigen
Monaten der bekannte moderne Architekt Günter Behnisch - "da
laßt sie doch am Neumarkt ein Stückchen wiederaufbauen!"
Wir sind sicher, dass die Dresdner es mehrheitlich so wollen und dass
sich - wir vor zehn Jahresn beim Entschluß für den Wiederaufbau
der Frauenkirche - der Bürgerwille auch bei der Rekonstruktion
ihres historischen Umfeldes durchsetzen wird.
Dresden im Oktober 1999
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