"Das war ein calvinischer Streich! Seine Teufelsgesellen mögen sich vorsehen; denn man schont allhier keinen."


zur Erinnerung an die Hinrichtung von Dr. Nikolaus Krell am 09. Oktober 1601
auf dem Dresdner Neumarkt



Krellstein auf dem Jüdenhof (Fotoquelle) - 2011 wieder an alter Stelle

Am 09. Oktober 1601 wurde auf dem Jüdenhof/ Neumarkt einer der Aufsehen erregendsten Schau-hinrichtungen des 17. Jahrhunderts vollzogen. Der sächsische Kanzler Dr. Nikolaus Krell (manchmal auch Crell geschrieben), ein Anhänger des Calvinismus, wurde aufgrund seiner politisch-religiösen Überzeugung öffentlich enthauptet. Ein Gedenkpflasterstein mit den Buchstaben "Kr" erinnert auf dem Jüdenhof an diese grausige Tat mit weitreichenden europäischen Dimensionen (siehe Foto). Nach der Neupflasterung des Jüdenhofes ist er 2011wieder an seine alte Stelle eingelassen worden. Mit diesem Stein soll daran erinnert werden, was (religiös) politische Orthodoxie in Zeiten zwischen Reform und Beharrung in Sachsen bewirkt hatte.

Der zum Geheimen Rat Kurfürst Christians I. gehörende Krell bemühte sich von Leipzig aus, in Sachsen das reformierte Bekenntnis einzuführen. Dabei nutzte er die "Schwäche" des jungen Kurfürsten, der ihm als Kanzler die politische Leitung des Landes zugestanden hatte.

Eine Gegenspielerin Krells war Sophie von Brandenburg (1568 - 1622), die Gemahlin des sächsischen Kurfürsten Christian I. Als starke Machtfrau der Renaissance liess sie, nachdem ihr Ehemann 1591 plötzlich verstarb, den mißliebigen Kanzler Krell, Doktor des Rechts, auf die Festung Königstein bringen. Ihr Zorn richtete sich vor allem auf die Abschaffung des Exorzismus (Teufelsaustreibung) bei der Taufe, einer der wichtigen angestrebten modernen Reformen Krells.
Mit dieser politischen Aktion der Festnahme des Doktors Krell nahm die 23-jährige sächsische Kurfürstenwitwe kräftigen Einfluß in die europäische Machtpolitik. Reformierende calvinistische Bestrebungen gab es schließlich auch in der Schweiz, Frankreich (Hugenotten) oder im anglikanischen England. In Sachsen versuchten Verfechter der reinen Lutherlehre (die Orthodoxen) Calvinisten zu diffamieren. Diese wurden herablassend als Kryptokalvinisten bezeichnet. Herausragender Vertreter dieses europäisch agierenden protestantischen Netzes war Dr. Nikolaus Krell. Er schien zu einer brennenden Gefahr für die lutherische Orthodoxie in Sachsen (und nicht zuletzt für den status quo im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation) zu werden.

1593 verschärfte sich die politisch aufgeladene Stimmung. In Leipzig kam es zu einem "Calvinisten-sturm", bei dem hitzige lutherisch-strenge Studenten in Häuser der Calvinisten eindrangen, diese plünderten und Unheil stifteten.
Krell wurde auf Betreiben lutherisch Orthodoxer ein 10-jähriger Prozess gemacht wurde, der schließlich in Prag durch ein katholisches, kaiserlich beeinflusstes Gericht mit dem Todesurteil entschieden wurde. Queen Elisabeth I., Heinrich IV. von Frankreich und Wilhelm von Hessen protestierten - erfolglos. Der gerade volljährig gewordene Christian II. ließ in der ersten Regierungshandlung die Hinrichtung Krells in Gang setzen. Der Scharfrichter vollstreckte den Justizmord vor genau 406 Jahren vor dem damals neu gebauten prachtvollen Pferdestall (heute Johanneum) am Neumarkt mit einem Schwert. Es ist bis heute in der Dresdner Rüstkammer aufbewahrt. Der Leichnam Krells wurde auf dem alten Dresdner Frauenkirchhof bestattet.

Thomas Kantschew - 09.10.07

 



Porträt Dr. Nikolaus Crell

CRELL, Nikolaus, kursächsischer Kanzler,
* um 1550 in Leipzig als Sohn eines Dr. jur. und Ratsherrn,
† (hingerichtet) 09.10. 1601 in Dresden.

 

Schaumünze Nikolaus Krell im Alter von 29 Jahren
Künstler: Tobias Wolf, Medailleur am Hofe Kurfürst August, Schaumünze in Silber 1582


Nach dem Besuch der Fürstenschule in Grimma studierte Crell seit 1571 in Leipzig die Rechte und wurde 1580 in Dresden Hofrat und Sekretär des Kurprinzen Christian, der ihn nach seinem Regierungsantritt 1586 zum Geheimen Rat und 1589 zum Kanzler ernannte. Crell, der durch Reisen in Frankreich und der Schweiz zum Abschluß seiner humanistischen Studien für den Calvinismus gewonnen worden war, bemühte sich im Einverständnis des melanchthonischgesinnten Kurfürsten um die Wiedereinführung des Kryptocalvinismus in dem streng lutherischen Kursachsen. Die Verpflichtung auf die Konkordienformel wurde nicht mehr verlangt. Eine landesherrliche Verfügung verbot 1588 "das unzeitige und unnötige, auch ärgerlich Gebeiß, Gezänk und Verdammnis" der Prediger. Strenge Lutheraner entließ man und ersetzte sie durch Philippisten. Eine Volksbibel mit kryptocalvinistischen Glossen, die sog. Crellbibel, und ein entsprechender Katechismus wurde herausgegeben. Am 4.7. 1591 erfolgte die Abschaffung der Exorzismusformeln bei der Taufe.

Dagegen erhob sich schärfster Widerspruch. Mit dem plötzlichen Tod Christians I. am 25.9. 1591 setzte die Reaktion ein. Noch am Tag vor dem Begräbnis des Kurfürsten wurde C. durch den Herzog Friedrich Wilhelm zu Sachsen-Altenburg, einen eifrigen Lutheraner, seines Amtes enthoben und nach der Festung Königstein gebracht. Alle sächsischen Kirchen- und Staatsbeamten mußten die streng anticalvinischen Visitationsartikel unterschreiben. Die sich weigerten, wurden abgesetzt. Der Prozeß gegen Crell dauerte 10 Jahre. Seine Gattin reichte beim Reichskammergericht zu Speyer eine Beschwerde wegen verzögernden Rechtsganges ein. Diese Behörde erließ wiederholte Mandate zugunsten Crells. Die sächsische Regierung bestritt die Kompetenz des Reichskammergerichts und übertrug den Urteilsspruch der böhmischen Appellationskammer in Prag, die am 8.9. 1601 zu Recht erkannte, daß Crell "sein Leib und Leben verwirkt" habe. Der Administrator Friedrich Wilhelm bestätigte das Todesurteil. Crell. wurde auf dem Neumarkt in Dresden öffentlich enthauptet. Als sein Haupt gefallen war, rief der Scharfrichter: "Das war ein calvinischer Streich! Seine Teufelsgesellen mögen sich vorsehen; denn man schont allhier keinen."
(Textquelle: http://www.bautz.de/bbkl/c/crell_n.shtml )

Dr. Nikolaus Krell wohnte in Dresden auf dem Grundstück des späteren Beichling'schen Palais (später British Hotel und Palais de Saxe) zwischen Moritzstraße und Landhausstraße. Info bei www.archsax.sachsen.de

 


Buchillustration oder Flugblatt zur Verhaftung der Doktoren Christoph Gundermann, Nikolaus Krell und Urban Pierius (Birnbaum) unter dem Vorwurf des Calvinismus. Simultane Darstellung der Ereignisse in Leipzig, Dresden und Wittenberg, 1591/1592, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, HB 6375 (Nicolaus Crell ist im linken Medaillon oben dargestellt.)

 


Der abgeschlagene Kopf Krells in einer zeitgenössischen Grafik, unbekannter Künstler (Quelle: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett) Vergrößerung des Ausschnitts. Der Künstler hat die Augen des vom Körper abgetrennten Kopfes noch offen und lebendig mit einem direkten Blick zum Betrachter gezeichnet.

 


Richtschwert. Mit diesem Schwert wurde der kalvinistische Kanzler Nikolaus Krell 1601 enthauptet. In Latein wurde der Spruch „Hüte dich, Calvinist!“ eingraviert. / Datierung: Ende 16.Jh. (Inventarnummer: VI 449) in: Staatl. Kunstsammlungen Dresden / Rüstkammer

Material / Technik: Klinge zweischneidig, breit und flach; Hohlschliff, kupfertauschierte und eingravierte Inschriften; Gefäß Eisen, gefeilt; Griffwicklung mit Türkenbünden, glatter, gewundener und geflochtener Eisendraht
Maße: Höhe: 105 cm, Klinge: 82,5 cm


Folter von politisch Andersdenkenden
Das Todesurteil durch das Schwert war ein relativ glimpfliches Todesurteil. Es hätte auch wesentlich schlimmer kommen können: In Braunschweig z.B. wurde im Jahre 1604 der Bürgerhauptmann Henning als Calvinist in bestialischen Weise umgebracht. Nachdem man ihn gefoltert hatte, hackte man ihm zwei Finger ab, zwickte ihn mit glühenden Zangen, schnitt ihm die Geschlechtsteile ab und schlitzte ihm endlich den Leib auf. Damit er die Leiden besser fühle, hielt man ihm von Zeit zu Zeit ein Riech-Fläschchen unter die Nase. Während der ganzen Prozedur machten lutherische Orthodoxen Belehrungsversuche.

 


Unbekannter Künstelr, Porträt Nikolaus Krell (Quelle: Deutsche Fotothek)
Öl auf Leinwand, vermutlich um 1600 entstanden (Besitzer: Städtische
Galerie Dresden, Kunstsammlung)

 


Singende Pfaffen, Pinselzeichnung von Hans Krell 1547 (Quelle: Staatliche Kunstsammlungen
Dresden, Kupferstich-Kabinett)

 


Sophie von Brandenburg - Gemahlin des sächsischen Kurfürsten Christian I.
(Quelle: Deutsche Fotothek)

Sophie von Brandenburg (* 6.06 1568; † 1622) "Judith von Sachsen"
war Tochter des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg und Gemahlin des Kurfürsten Christian I. von Sachsen (Hochzeit am 25. April 1582 zu Dresden). Mit nicht einmal 14 Jahren wird sie von Berlin nach Dresden verheiratet. Mit 15 bekommt sie ihr erstes Kind: den späteren Kurfürsten Christian II.
Mit 23 Jahren (1591 hatte sie schon 7 Kinder geboren) stirbt ihr Mann 31-jährig. Weitreichende Entscheidungen sind zu fällen für die junge Frau.
Doch ihr Vater ist an ihrer Seite: Johann Georg (* 11. September 1525 in [Berlin] -Cölln, † 8. Januar 1598 in [Berlin]-Cölln), war von 1571 bis zu seinem Tode Kurfürst von Brandenburg. Übernahm nach dem Tode von Kurfürst Christian I. von Sachsen (1586-1591) zusammen mit Herzog Friedrich Wilhelm I. von Sachsen-Weimar (1562-1602) die Administration von Kursachsen.
Sophie hatte 7 Kinder, darunter Christian II. (* 23.09 1583), Johann Georg I. (* 5.03 1585. Als orthodoxe Lutheranerin bekämpfte sie den Kryptokalvinismus in Sachsen, ließ nach Christians Tod (25.09 1591) dessen Kanzler Nikolaus Krell auf der Festung Königstein gefangensetzen und 1601 auf dem Neumarkt hinrichten.
Die orthodoxen Lutheraner feierten sie als "Judith von Sachsen". Sie hasste Krell vor allem, weil er den Kurfürsten überredet hatte, ihre jüngste Tochter Dorothea (* 7.01 1591) ohne Exorzismus (Teufelsaustreibung) taufen zu lassen.
Sophie lebte als Witwe in dem "Fraumutterhaus" oder auf Schloss Colditz, ließ eigene Münzen prägen (Sophienducaten), ließ die alte Franziskanerkirche wieder für den Gottesdienst herrichten (1599-1610), die nach ihr Sophienkirche bezeichnet wurde. (Textteile: http://sophie_von_brandenburg.know-library.net )


Sophie von Brandenburg - Gemahlin von Christian I.
(Quelle: Deutsche Fotothek)

 


Caravaggio: Judith schlägt Holofernes das Haupt ab, 1598 - Galleria Nazionale dell'Arte Antica
in Rom

 

Weiterführende Informationen:


Ein religionspolitischer Justizmord - von Klaus Hoffmann-Reicker
Der Fall des Dresdner Aufklärers Nikolaus Krell - NZZ Online vom 12. Januar 2002

http://www.ev-ref-gem-dresden.de/ug_reformation.htm
Reformierte Gemeinde in Dresden - zur Reformationsgeschichte, Calvin und Zwingli

http://www.uni-leipzig.de/~agintern/uni600/ug128.htm
(Die Auswirkungen der Gegenreformation und die Auseinandersetzungen innerhalb der lutherischen Kirche) / zum Calvinistensturm (pdf)

http://www.tourismus-deutschland.de/sachsen/freistaat-sachsen_100251_0.html
u.a. Geschichte: Kursachsen im Zeitalter der Konfessionalisierung (1547-1650)

http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_I._Sachsen

http://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Krell

http://de.wikipedia.org/wiki/Sophie_von_Brandenburg

http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Gundermann
Doktor der Theologie, ebenfalls im Zuge der Calvinisten-Ausschaltung mit Krell gefangen genommen und in der Leipziger Pleißenburg inhaftiert. Kam frei, nachdem er urkundlich abschwörte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Urban_Pierius
Pfarrer in Wittenberg, der mit Krell 1591 gefangen genommen wurde, am 13.11.1591 in Wittenberg verhaftet. Die englische Königin Elisabeth I. setzte sich höchstpersönlich für ihn ein, so dass er 1593 freikam.

Peter Löw: Krell – im Sog der Macht, Roman-Biographie, 2001
Zu Wirken und dramatischem Schicksal des sächsischen Staatskanzlers der Spätrenaissance Dr. Nikolaus Krell

Hartmut Krell: Das Verfahren gegen den 1601 hingerichteten kursächsischen Kanzler Dr. Nicolaus Krell, Peter Lang Verlag, Europäische Hochschulschriften - Rechtswissenschaft, Frankfurt am Main 2006

Dresdner Hefte – Jahrgang 1992, Heft 29, Um die Vormacht im Reich - Christian I., Sächsischer Kurfürst 1586-1591


Festung Königstein mit Johan-Georgen Burg und heute nicht mehr
vorhandenem Krellturm / Kupferstich von Martin Engelbrecht (1684 - 1756)


Kryptocalvinismus
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Kryptocalvinismus ist eine abfällige Bezeichnung für verkappte Sympathisanten des Calvinismus in orthodox-lutheranischen Gebieten im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Wo er auch das Fürstenhaus erfasste und zur herrschenden Religion wurde, bezeichnete er sich selbst als reformierte Kirche (z. B. in Brandenburg). Da der Calvinismus vor 1648 in Deutschland nicht als offizielle Religion anerkannt war, versuchten einige Fürsten in dieser Zeit auch den Calvinismus so zu praktizieren, dass er noch als übereinstimmend mit der lutherischen Lehre, wie sie im Augsburger Religionsfrieden von 1555 festgehalten worden war, anerkannt wurde (z. B. in der Kurpfalz im Heidelberger Katechismus). Politisch zielte der Kryptocalvinismus auf die Zerschlagung des Habsburger Heiligen Römischen Reiches und auf eine moderne, bürgerliche Europäische Union, bestehend aus der teilweise reformierten (Genf, Zürich) Schweiz, einem hugenottischen Frankreich, dem anglikanischen England und einem protestantischen (reformierten) Deutschland. Bekanntester Kryptocalvinist war der sächsische Kanzler Dr. Nikolaus Krell, der dafür 1601 auf Betreiben der lutherischen Orthodoxie hingerichtet wurde. Auch Caspar Peucer wurde von ihr als Kryptocalvinist bezeichnet.

 

 

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