Karussell der Wunder

Das Grüne Gewölbe schließt. Und die Dresdner Umzüge nehmen ihren Lauf

von Uta Baier

Die Zeit der Wunder ist vorbei. Jedenfalls vorläufig. Das Grüne Gewölbe in Dresden, die größte barocke Schatzkammer in Europa, schließt für acht Monate. Kein Strahlen, Glitzern, Funkeln mehr in Dresdens Albertinum. Nie mehr. Das Grüne Gewölbe zieht ins teilweise rekonstruierte, teilweise neu aufgebaute Schloss und eröffnet am 8. September. Mit der Schließung am Sonntag um 20 Uhr beginnt der Umzug der Kunstschätze. Zurück ins Schloss, zurück an den ursprünglichen Ort, wenn auch schrittweise und vollständig erst 2006.

Fast 20 Millionen Besucher sahen die Ausstellung der Schätze aus dem Grünen Gewölbe seit ihrer Wiedereröffnung 1974 im Albertinum. Auch das eine Wunderkammer, gut inszeniert und auch heute noch nicht ganz veraltet, aber doch keine, wie sie nun wieder fürs Schloss geplant ist.

Am historischen Ort, mit historischer Präsentation. Acht Räume im Erdgeschoss des Westflügels werden den Besucher in das Jahr 1733 zurück versetzen, in den Urzustand der Schatzpräsentation. Historische Genauigkeit und der Verzicht auf Vitrinen werden das barocke Gesamtkunstwerk wiedererstehen lassen. Ein "Schatzkammermuseum" ,wie einst von August dem Starken eingerichtet, und ein Erlebnis, das vor allem aus konservatorischen Gründen für Besucher Voranmeldung und zeitlich befristete Tickets bedeutet. Exklusivität zieht Einschränkungen nach sich. So sehen es die Planungen vor, die den Eröffnungstermin auf 2006 festgelegt haben, parallel zum 800. Stadtjubiläum.

Der gesamte Schlosskomplex soll 2010 fertig sein. Bis dahin sind dann auch Rüstkammer, Münzkabinett und Kupferstichkabinett eingezogen. Als erstes wird am 25. März das Kupferstichkabinett im Schloss eröffnet. 450 000 Blätter, Kupferstiche von Martin Schongauer, Holzschnitte von Cranach, Lithografien und Radierungen von Picasso. Die Sammlung zählt weltweit zu den bedeutendsten. Auch hier orientiert man sich am Historischen. Das Kupferstichkabinett zieht in die Räume der 1560 gegründeten Kunstkammer. Erste Ausstellungen: "Weltsichten. Meisterwerke der Grafik, Malerei und Fotografie", "Rembrandt und sein Kreis". Auch wenn Dresden - nach einer Studie des BAT-Instituts - von den Deutschen bereits auf dem vierten Platz der einheimischen Kulturmetropolen gesetzt wird: Mit diesem Umzug beginnt der alte Glanz endgültig wieder sichtbar zu werden. Die Zeit der Ruinen und Provisorien ist vorbei. Das Gesamtkunstwerk Dresden wird wieder sichtbar.

Wenn im September Teil eins der Ausstellung des Grünen Gewölbes im ersten Obergeschoss des Westflügels, "Neues Grünes Gewölbe" genannt, eröffnet, wird man das noch deutlicher spüren. Hier werden die Schätze in modernen Vitrinen präsentiert. Wesentlich mehr als bisher und nach Eröffnung des Historischen Grünen Gewölbes fast alle.

Bis dahin aber muss Dresden, müssen die extra angereisten Touristen auf das neben der Gemäldegalerie Alte Meister populärste Museum verzichten. Es wird keine Sonderschau ausgewählter Stücke in Dresden geben, nur Postkarten und Bildbände werden von Diamantengarnituren und goldenen Trinkbechern, vom Kirschkern mit den 185 eingeschnittenen Gesichtern und von der prächtigsten Puppenstube, dem "Hofstaat von Delhi zum Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb" des Johann Melchior Dinglinger, Hofgoldschmied Augusts des Starken, künden. Ein schwacher Trost. Zu wenig Personal, zu viele Restaurierungen, der Umzug und die zur sächsischen Landesausstellung nach Torgau ausgeliehenen Vitrinen seien die Gründe für die programmierte Touristentrauer, so die Kunstsammlungen.

Während Dresden vorübergehend sein Funkeln verliert, kommen Amerika und Hamburg zu Ausstellungen mit Schätzen aus dem Grünen Gewölbe. Eine einmalige Gelegenheit, wie die Moma-Ausstellung in Berlin, die nur wegen der Baupläne in New York und Dresden möglich wurden. Ende Februar eröffnet in Jackson (Mississippi) eine Ausstellung mit Barockschätzen aus acht Dresdner Museen "The Glory of Baroque Dresden", New York und Hamburg werden Teile des Historischen Grünen Gewölbes zeigen.

Zur Eröffnung in Jackson haben sich Gerhard Schröder und George W. Bush angekündigt. Vielleicht ist es doch so, dass Kunst die Menschen befriedet und zusammenführt. Als Dresden seine Schätze vor einem Jahr in London präsentierte, trafen sich Gerhard Schröder und Tony Blair und wurden trotz Irak-Kriegsvorbereitungen nicht müde zu beteuern wie wichtig ihnen ihre Freundschaft sei.

Für Jörg Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, ist die Schließung trotzdem ein Grund für Freudentränen. Nach mehr als fünfzig Jahren kehrt die Sammlung an ihren ursprünglichen Ort zurück. Im Krieg auf die Festung Königstein ausgelagert, wurde sie 1945 nach Russland abtransportiert, kam 1958 unbeschadet zurück, wurde 1959 bis 1973 erstmals im Albertinum ausgestellt, ab 1974 dann dauerhaft. Bis morgen.

Artikel erschienen am 10. Jan 2004 i.d. WELT