Um das Jahr 1535
entstehen vom selben Künstler in Dresden zwei reliefplastische
Arbeiten als architekturbezogene Kunst am Bau, die bis heute überdauert
haben. Der eine, ein Totentanz, ist für das Dresdner Residenzschloss
gedacht. Er soll das zum Schloss gehörende Stadttor schmücken,
welches ein festliches Entreé zur herzöglichen Elb-Residenz
bilden und auf Vergänglichkeit allen Lebens hinweisen soll. Heute
ist dieser nachdenkliche Totentanz in der Neustädter Dreikönigskirche
zu bewundern. (siehe Link: www.dresdner-totentanz.de)
Ganz anders der
zweite Bauauftrag: ein bürgerliches Wohnhaus am ebenfalls neu
entstehenden Dresdner Neumarkt. Da, wo noch bis ca. 1534 die mittelalterliche
Stadtmauer mit dem Frauentor stand, an diese neue, städtebaulich
außerordentlich exponierte Ecke, Frauenstraße/ Neumarkt
soll ein besonderes Haus errichtet werden. Ein Gebäude, das der
Bauherr mit einem herausragenden Runderker betonen will. Die Vielzahl
der ornamentalen Zierleisten an diesem Erker krönt der beauftragte
Künstler Christoph Walter I. mit einem meisterhaften Kunstwerk:
der Kinderfries. Während der
düstere, noch recht mittelalterliche gehaltene Totentanz eher statuarisch
ernst wirkt, drückt der Kinderfries die Lebensfreude der Renaissance
aus. Nackte Jungen und Mädchen balgen sich deftig, necken sich,
tanzen ausgelassen, hüpfen, fallen hin, umarmen sich und bringen
Körbe voller Blumen und Früchte - eine muntere Schar ausgelassener
Knirpse, die keinerlei Scham kennen und eine ansteckende pralle Lebensfülle
ausstrahlen, diesseitige Lebensfreude pur.
Über Jahrhunderte
blieb dieser Erker an seinem Platz erhalten. Das Haus selbst wurde
in der Barockzeit dem Zeitgeschmack umgebaut, die hohen Stufengiebel
durch Mansarddächer ersetzt, doch der Erker blieb - bis zum Februar
1945. Als die Stadt Jahre später neu entstand, wurden Fundstücke
aus den Trümmern an einer anderen Stelle in Neubauten integriert.
Allerdings ging der vorherige Zusammenhang, die Platzierung als rundes
Element, welches sich in die Gesamtarchitektur einfügt, völlig
verloren.
Ansicht der in
ein Wohn- und Geschäftshaus integrierten geborgenen vier Originalteile
des Runderkers - mit einer erklärenden Tafel rechts daneben.
Der ehemals in zwei Segmente geteilte plastische Fries wurde, da die
zur Verfügung stehende Fläche zu klein war, flächig
übereinander aufgeteilt. / Foto: Februar 2006
Runderker mit tanzenden
Kinder über reich profilierten Unterbau, Historische Aufnahme
vor 1945, Foto: SLUB/ Fotothek
Christoph Walther I.
war ein Mitglied der weitläufigen Bildhauerfamilie Walther. Er
starb 1546. Sein Sohn Hans Walther II (1526 - 86) stellte den bildhauerischen
Schmuck für das Dresdner Renaissance-Schloß her, auch das
Mortizmonument und die Schloßkapelle, nebst dem heute noch vorhandenen
Tor.
Christoph Walter II. (1534 - 84) schuf z.B. den alten Frauenkirchenaltar
in seinem Todesjahr. Sein Sohn Christoph Walther IV (1572 bis 1619)
arbeitet u.a. am Portal der Kreuzkirche.
Sein zweiter Sohn Andreas Walther III (1587 bis 1596) schuf u.a. das
Pelikantor an der Dresdner Schloßstraße. Die Walthers
kann man als eine außerordentlich berühmte Bildhauerfamilie
über vier Generationen nennen.
In den 60er Jahren,
als der Kinderfries in das Geschäfthaus der Gewandhausgasse/
Ringstraße als apliziertes Element integriert wurde, haben Restauratoren
einige zerstörte Teile ergänzt.
Fotos: Thomas Kantschew
Renaissance- Erker
mit störender Stütze, Ecke Frauenstraße/ Neumarkt
(hier Blick in die Frauenstraße) Oberteil später umgestaltet,
Aufnahme: ca 1900 Foto: SLUB/ Fotothek
Schützhaus
in der Renaissancezeit mit dem Erker zur Frauengasse,
ohne die entstellende Stütze, die grobschlächtig wirkt und
die Gesamtwirkung stört.
Kupferstich aus: "Durchlauchtigste Zusammenkunft"
von Gabriel Tzschimmer, Nürnberg 1680
Renaissance- Erker,
Ecke Frauenstraße/ Neumarkt,
Foto: SLUB/ Fotothek
Auch beim Wiederaufbau des Schützhauses werden die
tobenden Kinder noch von der Fußgängerperspektive aus
zu sehen sein.
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